Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Von der Filmkritik wurde das Filmmelodram der 40er- und 50er-Jahre zumeist verlacht. Verächtlich bezeichnete man die um Frauenschicksale kreisenden Filme, deren Themen (Liebe, Verzicht, Kinder und Krankheit) auf einen vermeintlichen weiblichen Durchschnittsgeschmack ausgerichtet waren, als „Weepies“. Dass etwa die Melodramen eines Douglas Sirk eine mit oftmals galligem Humor vorgetragene, überaus scharfsinnige Analyse der amerikanischen Gesellschaft enthielten, erkannte man erst viel später. In „Dem Himmel so fern“ wandelt Regisseur Todd Haynes auf Sirks Spuren und erzählt in den klassisch-gesättigten Farben des Genres vom Leben einer Hausfrau (Julianne Moore) im 50er-Jahre-Kleinstadtmilieu, die alles besitzt, was man in jener Zeit als das „Glück“ begriff: einen beruflich erfolgreichen Mann, nette Kinder, Statussymbole wie Haus, Auto und Bedienstete. Doch ihr Hochglanz-Glück ist lediglich Schein: Der Gatte (Dennis Quaid) ist tatsächlich homosexuell (und quält sich mit Schuldgefühlen ob der vermeintlichen Krankheit herum), und eine mögliche Beziehung zu ihrem schwarzen Gärtner scheitert an Klatsch, Tratsch und Rassismus der lieben Nachbarn. Dabei wird letztlich auch ihr Weltbild in Frage gestellt, jene Liberalität, die außer ein paar Lippenbekenntnissen nichts kostet: Die Wut der Kleinstadtfaschisten bekommen letztlich der Gärtner und seine kleine Tochter zu spüren.
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Jeder Auftritt beginnt mit einem Ritual: „Do you believe in Rock ’n’ Roll?“ schleudern die Goldenen Zitronen der Zuhörerschaft entgegen, die diese eher rhetorische Frage mehr oder weniger enthusiastisch bejaht. „We don’t“, kontern sodann die Zitronen, eine der wenigen deutschen Punkbands, die sich dem bequemen Leben zwischen Spaßattitüde und Stadionrock erfolgreich verweigert hat. Auch der kürzlich an Leukämie verstorbene Wesley Willis, in dessen Vorprogramm die Zitronen 14 Tage durch Amerika tourten, hat ein Ritual: „Say Rock! Say Roll!“ Doch Willis meint es ernst, er hält sich für einen Rock-’n’-Roller. Also lediglich ein riesiges Missverständnis, das Regisseur Jörg Siepmann hier dokumentiert? Tatsächlich ist Willis ein schizophrener Autist, und seine Lieder bestehen aus wenigen, immer gleichen Akkordfolgen, denn jede Veränderung macht ihm Angst. Trotzdem scheint sich in der Tatsache, dass die so unterschiedlichen Musiker stets aktuelle Ereignisse in ihren Songs verarbeiten – die Zitronen reflektiert, Willis ungefiltert – schließlich eine Gemeinsamkeit zu ergeben.
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Brigid Berlin werkelte in Andy Warhols Dunstkreis seit den 60ern an eigener Kunst: Polaroidfotos, „Tit-Prints“, Tapes und Performances, mit denen sie auf den Druck ihrer konservativen Familie reagierte. Heute ist Brigid Berlin sechzig Jahre alt, besitzt eine kitschige Mopssammlung und schwärmt von einer staubfreien Wohnung. Die Dokumentation „Pie in the Sky: The Brigid Berlin Story“ zeichnet ein lebendiges Bild der exzentrisch-neurotischen Künstlerin, deren Selbstdarstellungstalent nie zu versiegen scheint. LARS PENNING