Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
So kennt man Franz Kafka eigentlich nicht: Als wagemutiger Amateurdetektiv spürt er dem Tod eines Freundes nach, wird in wilde Verfolgungsjagden verwickelt und löst schließlich das Rätsel um einen „verrückten Wissenschaftler“. 1991 schuf Steven Soderbergh mit „Kafka“ diese amüsante Fantasie um den Prager Schriftsteller, die freizügig eine rundum erfundene Geschichte mit biografischen Details und den bekannten Namen und Schauplätzen aus Kafkas Romanen miteinander vermengt. Wie in der Realität arbeitet Kafka (Jeremy Irons) in der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt, schreibt in seiner Freizeit Geschichten, hat komplizierte Beziehungen zu Frauen und entwickelt ein furchtbar tuberkulöses Husten. Die bürokratische Tyrannei, in deren Mittelpunkt das geheimnisvolle Schloss steht, die Willkür von Behörden, das Gefühl permanenter Überwachung – all dies kennt man aus seiner Dichtung. Als visuelle Entsprechung einer Atmosphäre der Bedrohung wählte Soderbergh eine Art Second-Hand-Expressionismus: Starke Schwarz-Weiß-Kontraste (nur Kafkas Abenteuer im Schloss sind farbig) und verzerrte Weitwinkelaufnahmen verfremden die Jagden durch das nächtliche Prag. Und dass der mysteriöse Wissenschaftler, der hinter allem Unheil steckt, Dr. Murnau heißt und zuvor in Orlac gewirkt hat, ist natürlich auch kein Zufall.Der halblange Spielfilm entstand 1966, wirkt jedoch wie aus der Frühzeit der Nouvelle Vague: Jean Eustaches „Le Père Noël a les yeux bleus“ erzählt eine Geschichte von jungen arbeitslosen Männern in Narbonne und wurde hauptsächlich auf der Straße und in Cafés mit natürlichem Licht gedreht. Jean-Pierre Léaud verkörpert auf seine typisch sprunghafte Art den jungen und armen Daniel, der davon träumt, einen modernen Dufflecoat zu kaufen, Mädchen aufzureißen und in ein schickes Café zu gehen. Wunderbar inszeniert ist eine Szene, in der Daniel eine Frau auf der Straße zum Bleiben überreden will: Minutenlang kreist der Dialog um die gleiche Sache, die Figuren umkreisen sich selbst – man tritt auf der Stelle. Als Daniel einen Job als Weihnachtsmann annimmt, macht er erstmals eine andere Erfahrung: In der Verkleidung kann er sich Frauen nähern, die ihn sonst nie angesehen hätten. Doch eine Verabredung am Abend endet mit einer Enttäuschung, und so muss Daniel am Silvesterabend mit seinen Freunden ins Bordell gehen. Angeblich ist die Geschichte autobiografisch inspiriert …Der beste Zeichentrickfilm der letzten Jahre: Hayao Miyazakis „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) beschreibt eine fantastische Reise zu sich selbst, auf der es die zehnjährige Heldin in eine Parallelwelt verschlägt, in der eine Hexe ein Badehaus für Götter betreibt. Aus dem ängstlichen, ein wenig verzogenen und ständig maulenden Kind wird letztlich ein selbstbewusstes, zielstrebiges Mädchen. Der von einem enormen Detailreichtum gekennzeichnete Film bietet komplexe Charaktere mit ebenso komplexen Motivationen und spiegelt den immanent zivilisationskritischen Ansatz des Regisseurs wider. LARS PENNING