Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Das Credo des Choreografen und Regisseurs Busby Berkeley verkündet Hauptdarsteller Dick Powell in dem Film „Dames“ von 1934: „What do you go for? Go see the show for? Tell the truth, you go to see those beautiful Dames!“ Konsequenterweise suchte Berkeley seine Chorus-Girls nicht nach ihren tänzerischen Fähigkeiten aus, sondern nach ihrem guten Aussehen. Das machte bei Berkeleys Choreografien auch durchaus Sinn, denn hier ging es hauptsächlich darum, riesige Menschenmengen in geometrischen Mustern zu arrangieren und synchron in Bewegung zu setzen – der eigentliche Tanz bestand aus eher simplen Formen des Stepptanzes. Berkeleys berühmteste Einstellung war der senkrechte Kamerablick auf die in kaleidoskopartigen Mustern arrangierten Tänzerinnen, der so genannte „Berkeley Top-shot“, den er gelegentlich bis zur kompletten Abstraktion trieb. Die Hauptdarsteller von Berkeleys Filmen aus der Zeit bei Warner Bros. hießen häufig Dick Powell und Ruby Keeler – und kaum jemals hat eine Schauspielerin wohl eine opulentere Liebeserklärung bekommen als Keeler in der „I Only Have Eyes for You“-Nummer aus dem Film „Dames“. In Powells Traum tragen alle Mädchen Ruby-Keeler-Masken, in gewaltigen Dekorationen multipliziert sich so die Frau seiner Träume geradezu ins Hundertfache – und am Schluss ergibt sich aus einem von den Chorus-Girls arrangierten riesigen Puzzle sogar noch ihr Konterfei.
Auf seine Weise ein großer Tänzer – in jedem Fall ein ausgesprochenes Bewegungstalent – war auch Charlie Chaplin. Bereits die erste berühmte Sequenz von „Modern Times“ (1936) ist ein kleines Meisterwerk der Choreografie: Chaplin steht am Fließband und muss an den vorbeikommenden Werkstücken jeweils zwei Schrauben festziehen, bevor zwei weitere Kollegen darauf einhämmern. Doch das Fließband läuft immer schneller, und immer frenetischer wird geschraubt und gehämmert, ehe sich der Irrsinn schließlich entlädt: Charlie Chaplin schnappt über und tänzelt mit unbeschreiblicher Leichtigkeit und Grazie und mit seinem Schraubenschlüssel im Anschlag durch die Fabrik, stets auf der Suche nach schraubenähnlichen Gegenständen, die er festdrehen könnte.
Eine kleine Filmreihe mit japanischen Animes zeigt das Filmmuseum Potsdam im Mai. Kon Satoshis „Perfect Blue“ (1997) gehört zweifellos zu den ungewöhnlicheren Werken der letzten Jahre: Die psychologische Horror- und Krimigeschichte um die Popsängerin und Schauspielerin Mima, die anscheinend schizophrene Wahnzustände entwickelt, als sie feststellt, dass irgendwer ihre Privatsphäre auf bedrohliche Weise ausspioniert und ihr Leben manipuliert, hätte – was den Plot und die Charakterisierung der Figuren angeht – in ganz ähnlicher Weise wohl auch als Realfilm entstehen können. Der Zeichentrick bewährt sich vor allem in jenen Szenen, die überaus geschickt mit verschiedenen Wahrnehmungsebenen spielen und Realität, Traum und Wahn nahezu unauflösbar miteinander verknüpfen. Jedenfalls bis zum überraschenden Ende … LARS PENNING