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Archiv-Artikel

Off-Kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

„89 Millimeter – Freiheit in der letzten Diktatur Europas“ (OmU) 5.–10. 1. im Kino Krokodil

H.H. Ewers Roman „Alraune“ gehört zu den klassischen Filmstoffen des deutschen Kinos: eine fantastisch-erotische Geschichte um ein im Experiment künstlich geschaffenes Mädchen, das mit seiner Gefühlskälte alle Menschen um es herum in Verderben, Ruin und Tod stürzt. 1952 entstand unter der Regie von Arthur Maria Rabenalt mit Hildegard Knef und Erich von Stroheim in den Hauptrollen die vierte Verfilmung des Stoffes seit 1918. Zwar macht die Story nicht unbedingt mehr Sinn als in früheren Versionen, doch der (Trash-)Film ist ganz ausgezeichnet fotografiert: Die düster-romantischen und exquisit ausgeleuchteten Bildkompositionen des UFA-Veteranen Friedel Behn-Grund suchen im deutschen Kino der Zeit ihresgleichen.

„Kill Your Idols“ (OF) 5./7.–11. 1. im Central 2

Mit seiner Dokumentation „Kill Your Idols“ (2004) bietet der Regisseur Scott A. Crary einen guten Überblick über die „Art-Punk“-Szene New Yorks von gestern und heute: Zu Wort kommen neben Martin Rev von den Elektro-Pionieren Suicide und Vertretern der klassischen „No Wave“-Bewegung Anfang der 80er Jahre (Lydia Lunch, Arto Lindsay, Jim Thirwell, Glenn Branca) auch Noise-Heroen von Sonic Youth und den Swans sowie neue Bands wie Yeah, Yeah, Yeah. Neben Konzertausschnitten bietet der Film viele informative Interviews, in denen sich die (Nicht-)Musiker über radikalen Krach, notwendige Kunst, globalen Kapitalismus und unnötige Moden äußern. Die alten Kämpen erweisen sich dabei zumeist als klug reflektierende Künstler, ihre Nachfolger hingegen reden viel, haben jedoch kaum etwas zu sagen. Hier überwiegen die Epigonen, die auf Nostalgieticket reisen. Wie sagt Lydia Lunch so schön: Spielt lieber Tuba, aber lasst die Finger von Bass und Schlagzeug, falls ihr heute wirklich radikal sein wollt.

Um 89 Millimeter unterscheiden sich weißrussische Eisenbahngleise in der Spurbreite von denen des westlichen Europas. Den kleinen Unterschied als Metapher zu verwenden, bot sich für den Regisseur Sebastian Heinzel an: Tatsächlich läuft in Weißrussland alles ein wenig anders. Denn hier regiert der autoritäre Präsident Alexander Lukaschenko, und das Land ist dafür berüchtigt, dass oppositionelle Politiker spurlos verschwinden, unabhängige Zeitungen verboten werden und Journalisten wegen „Beleidigung des Präsidenten“ im Gefängnis landen. Die Dokumentation „89 Millimeter – Freiheit in der letzten Diktatur Europas“ (2004) stellt sechs Twens mit recht unterschiedlichen Vorstellungen vom Leben in den Mittelpunkt: Die Palette der Porträtierten reicht dabei vom Mitglied einer Widerstandsgruppe über eine Journalistikstudentin bis zum Soldaten, der in seinem Land gar keine Diktatur erkennen kann. Der Freiheitsbegriff der jungen Leute ist nämlich genauso unterschiedlich wie sie selbst: Dem einen ist eben die Meinungsfreiheit wichtig, dem nächsten seine künstlerische Entfaltung und einem dritten die Entenjagd. Regisseur Heinzel blickt stets neugierig und interessiert auf das fremde Land und lässt dem Zuschauer genügend Raum für eigene Schlussfolgerungen. LARS PENNING

„Alraune“ 10. 1. im Arsenal 1