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■ Österreichs grüne Bundessprecherin Madeleine Petrovic über die jüngsten Anschläge und die polarisierte Gesellschaft„Reform oder Haider“

taz: Im Burgenland kamen vier Roma bei einem Bombenanschlag ums Leben. Österreich hat damit seine ersten Toten durch rechtsextreme Anschläge. Wie wollen Sie sich wehren?

Madeleine Petrovic: Die Regierung Vranitzky muß sich endlich einmal auf die Seite der Opfer stellen und nicht immer eine Politik betreiben, die Wasser auf die Mühlen von rechtsextremen Gruppen gießt und gleichzeitig duldet, daß Österreichs Innenministerium selbst zum Sicherheitsrisiko für Minderheiten und Menschenrechtsaktivisten geworden ist.

Sie sprechen von einer Koalition zwischen Jörg Haider und dem Innenminister Löschnak. Was meinen Sie damit?

Ich glaube sogar, daß es eine Koalition Haider–Vranitzky gibt. Vranitzky ist die Spitze dieser Regierung, und er duldet einen Innenminister Löschnak mit Beamten, unter denen Leute sind, die Hitler-Büsten zu Hause stehen haben und die in der Öffentlichkeit das Horst-Wessel-Lied gesungen haben. Den Effekt spüren wir: Menschen, die sich für Multikulturalität einsetzen, sind mehr oder weniger Freiwild.

Ich weiß nicht, wie viele Drohungen ich schon bekommen habe, die absolut ernstzunehmen sind. Mittlerweile erhalte ich Drohbriefe, die offiziell von einem Postamt per Fax geschickt wurden. Die Täter sind „nicht ermittelbar“, ich bekomme immer nur offizielle Mitteilungen, man wisse nicht, wie das passiert sei. Drohbriefe, die ich der Polizei gegeben habe, verschwinden dort. Ich bin mir völlig sicher, daß es braune Zellen bei der Polizei gibt. Und da ich die Vorgänge dort nicht durchschauen kann, hinterläßt das bei mir ein großes Gefühl der Unsicherheit.

Sie sagen also, das Versagen der Ermittlungen gegen Rechtsradikale hat Methode.

Es war politisch offenbar der Wille, diese ganze Serie von AusländerInnengesetzen zu beschließen, die schlimmer sind als alle anderen im europäischen Vergleich. Es gibt zum Beispiel niemals Aufenthaltssicherheit, auch nicht für solche Menschen, die in Österreich geboren sind oder seit 20 Jahren hier leben. Immer bewirkt der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung die Verpflichtung der Behörde, das Aufenthaltsrecht zu beenden.

Ich kenne persönlich einige Illegale in Österreich: redliche, anständige Menschen, die durch die Gesetze in die Illegalität geraten sind. Und da schließt sich der Kreis zu Haider und seinen Wahlreden: Natürlich steht er auf der Seite der braven, redlichen Ausländer, aber diese Illegalen! Und für eine große Öffentlichkeit schwingt da mit: Die Illegalen, das sind die Autodiebe. Die österreichische Sozialdemokratie hat diese Entwicklung nicht nur geduldet, sondern selbst aktiv getragen. Die Führung ist noch immer politisch fehlgeleitet und meint, Haider rechts überholen zu können.

Es ist geschrieben worden, Österreich habe mit den Anschlägen jetzt auch sein Mölln, sein Solingen. Ganz vergleichbar ist das wohl nicht, denn in Österreich scheint alles noch besser organisiert ...

... und zwar unter den Augen der Polizei.

Wird es Ihrer Meinung nach jetzt auch in Österreich Lichterketten geben, einen gesellschaftlichen Protest, an dem sich viele beteiligen?

Lichterketten sind auf Dauer nicht genug. Zwei Dinge müssen auf der politischen Ebene folgen: Rechtsextreme Personen und ihre Inhalte dürfen nicht salonfähig werden, sie dürfen auch nicht augenzwinkernd geduldet werden. Da gibt es Menschen wie etwa den Herrn Gaugg, einen Spitzenrepräsentanten der „Freiheitlichen Partei“, der auf die Frage eines Journalisten, was das Wort „Nazi“ für ihn heißt, ganz spontan geantwortet hat: „Neu, attraktiv, zielstrebig und ideenreich.“ Das war vor der ersten Briefbombenattacke. Ich habe damals gesagt, man muß auch von der FPÖ eine sichtbare Distanzierung vom Rechtsextremismus verlangen, auch eine Distanzierung von Herrn Gaugg. Vranitzky war nicht bereit, das zu verlangen, er hielt das für die innere Angelegenheit der FPÖ. Herr Gaugg ist dann als Spitzenkandidat der FPÖ in die Arbeiterkammerwahlen gegangen und hat einen großen Wahlerfolg erzielt. Daß ich all das auch gegenüber ausländischen Medien problematisiert habe, ist für mich zum Vorwurf der Nestbeschmutzung geworden.

Und der zweite Punkt ist die Gesetzgebung: Es muß jetzt rasch ein Schritt zugunsten der Opfer erfolgen.

Welchen Schritt meinen Sie?

Ich meine die Legalisierung der Illegalen. Wahrscheinlich sind derzeit über 100.000 Illegale hier, die zum Spielball rechtsextremer Polarisierungsversuche werden. Man muß sich jetzt de facto auf die Seite der Opfer stellen.

Wird denn der Schrecken über die jüngsten Anschläge eine Wende nach sich ziehen?

Ich hoffe es. Ich hoffe noch immer, daß in Österreich jetzt bald ein Reformprojekt möglich wird. Angesichts der derzeitigen Kräfteverhältnisse mag das zu hoch gegriffen erscheinen. Aber ich sehe die Grünen als den anderen Pol in dieser Gesellschaft, den nicht rechtsextremen Pol. Man kann sich jetzt nur entweder klar auf die Seite der Rechtspopulisten um Jörg Haider stellen oder auf die Seite eines Reformprojektes, in dessen Zentrum die Grünen stehen. Ich persönlich nehme diese Herausforderung an. Derzeit ist die schizophrene Situation, daß dieses Reformprojekt in der Bevölkerung noch mehrheitsfähig ist. Je mehr allerdings die rechtspopulistische Hetze vorgeht und je mehr die Regierung das Ihre dazu tut, daß sie sich auch entwickeln kann, kann diese Mehrheit kippen. Innerhalb der politischen Organisationen beginnen erst wenige, sich rund um das Reformprojekt zu gruppieren, diejenigen nämlich, die vom sozialen Sparpaket stark betroffen sind, inklusive Teilen der sozialdemokratischen Gewerkschaften, die zumindest nach außen nichts von verschiedenen Meinungen haben durchblicken lassen. Sie sind also optimistisch, daß die Drohung von rechts die Sozialdemokratie nach links bringt?

Links? Ich weiß nicht. Aber vielleicht setzt sich wieder durch, daß man gewisse Werte als gesellschaftliche Grundwerte außer Streit stellen sollte, wie etwa die Notwendigkeit, für sozial Schwache zu sorgen. Es kristallisieren sich eben zwei Pole heraus, wobei das von den Rechtspopulisten vorgelegte Projekt wesentlich deutlicher konturiert ist und noch immer mehr Rückenwind hat. Ich fühle mich aber als Grüne verpflichtet, das Gegenprojekt zu formulieren und in dessen Zentrum zu stehen. Interview: Bernd Pickert

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