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■ ÖkolumneDie Erde heilen? Von Rudolf Bahro

Wie leicht ist „Ökologie“ zurückgefallen in die Position eines Schönwetter-Luxus, den man sich gerade mal leisten kann oder – so wie jetzt eben – gerade mal nicht! Die gegenwärtige sozialökonomische Krise verdeutlicht einmal mehr, daß unser Naturverhältnis nach wie vor normativ anthropozentrisch ist. Wir wollen nicht die Erde, die Welt, die Schöpfung bewahren, sondern unsere Umwelt schützen – soweit es uns die Arbeitsplatz- und Finanzprobleme (die Kosten für Außenpolitik und Kriegsbereitschaft inklusive) erlauben.

Seit ein paar tausend Jahren überrollt der Mensch mit der Dynamik seiner internen Kämpfe die Naturgleichgewichte, auf denen seine Genesis und Existenz beruht. Dem will dieselbe Gesellschaft, will in ihrem Namen eine ihrer Minderheiten beikommen mit einem „Tag der Erde“. Die Erde braucht Propaganda, an wenigstens einem von 365 Erdentagen jedes Jahres. Wenn das mal später ausgegraben wird, dann als ein Indiz mehr dafür, daß wir verloren waren und nicht zuletzt von allen guten Geistern verlassen.

Das meiste, was wir an solchem Tag an Belegen für unseren guten Willen zum „Frieden mit der Erde“, zum „Erdeheilen“ aufzubieten haben, reduziert sich auf ebenso gutwillige wie illusorische Beschwörung. Es zielt auf Punkte, mit denen wir den Punkt verfehlen. „Die Erde retten“, gar „die Erde heilen“ – heißt das ein Fleckchen Land aus kleinem Lebenskreise ökologisch bebauen, eine Straße verhindern, ein Biotop bewahren? Heißt das ein Ritual, zum Beispiel „Akupunktur“ an einem Kraftort, machen – als wären nicht auch alles andere vor allem Rituale, mit denen viele Teilnehmende von der eigentlichen Ursache wegsehen?

Ursache ist das Herzversagen einer Gesellschaft, die von suchtartig betriebener Geld- und technologischer Macht-Vermehrung in eine Elephantiasis aller Körperschaften und Funktionen hineingesteuert ist. Dies ist Gesellschaft nicht nur im Gegensatz zu Gemeinschaft, sondern als von allem wirklichen sozialen Selbst entkerntes megamaschinelles Substrat.

(Letzte) Ursache hinter dieser Ursache ist die Selbst-Entfremdung der menschlichen Existenz. Wir setzen einerseits „Gott“, andererseits alles übrige „Nicht-Ich“ außer uns und wollen nimmersatt kontrollieren und an Vorrat akkumulieren, soviel nur immer geht – wovon und wofür dann die Ressourcen unvermeidlich knapper werden.

Martin Heidegger hat die Forderung wunderbar formuliert: Wir hätten die Erde in i h r Wesen zu schonen, anstatt unser Geschäft an ihr zu haben. Wie soll das gehen, solange wir uns in dieser Normalverfassung der Jägerei aus Selbst-Entfremdung befinden? Und solange wir von sehr weit her diese anthropologische Normalverfassung in Sozialverfassung umsetzen?

Ökologisch, wenigstens im Sinn von „haushälterisch mit der Erde“, kann ein Grundgesetz nur dann wirken, wenn es dem Mensch-Natur-Verhältnis Vorrang einräumt vor allen innergesellschaftlichen Angelegenheiten, die der Mensch mit dem Menschen austrägt. Das wäre ein Umsturz in der Rechtsgeschichte, ein absolut notwendiger. Aber davon scheinen wir wieder einmal weiter entfernt denn je. Das Lippenbekenntnis zu Umweltschutz, ja Ökologie ist in den letzten zwei Jahrzehnten unter die Normen demokratischer Rechtgläubigkeit aufgerückt. Doch nichts in unseren Institutionen ist auf die Begrenzungsordnung angelegt, auf die es ankäme. Vielmehr halten sie unentwegt den Rahmen bereit für die Expansion, an der – Gipfel der Unvernunft – auch der „Umweltschutz“ hängt.

Das Mensch-Natur-Verhältnis und dessen Vorrang ist in allen modernen Verfassungen ohne Instanz. Sonst wären, beispielsweise, die kleinen Einheiten geblieben, die lokalen Zusammehänge bewahrt. Da kommt es nicht auf ein paar Hinzufügungen, ein paar Neuerungen an, sondern auf eine Erneuerung aus dem Grunde und im Ganzen. Nach der restaurativen Behauptung des bundesdeutschen Grundgesetzes steht um so unentrinnbarer die wirkliche Verfassungsfrage ins Haus: die Frage nach dem verbindlichen Rahmen für die Bewahrung des Lebens auf der Erde. Damit hierauf zu hoffen ist, muß erst die tödliche Logik der ökologischen Krise wieder ins Bewußtsein einfallen. Das mag geschehen, sobald richtig ankommt, daß „Deutschland“ keine Hoffnungen erfüllt. Spätestens mögen es nächste Katastrophen bewirken.

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