■ Ökolumne: Drittwagen Von Winfried Wolf
Der Chef des Autounternehmens ließ das Modell für ein einziges öffentliches Rennen fertigen. „Der 999 ... zeigte, daß ich einen schnellen Wagen bauen konnte.“ Die Firmenpraxis mündete in einen Wagen, von dem die Reklame verlautbarte: „Zweck unserer Arbeit ist ein Automobil für die Familie ..., ohne die halsbrecherischen Geschwindigkeiten zu erreichen.“ Soweit Henry Ford im Jahr 1905.
90 Jahre später propagieren die Chefs der Autoindustrie das Dreiliterauto. Gerast wird heimlich. Erst als BMW- Chef Bernd Pischetsrieder seinen bis zu 380 km/h schnellen und 627 PS starken McLaren F1 am Chiemsee mit überhöhter Geschwindigkeit zu Schrott fuhr, geriet er in die Schlagzeilen und löhnte eine Strafe von 18.000 Mark.
Wenn nach dem deutschen und dem nordamerikanisch dominierten Autogipfel auf der schwarzen Messe der Autoindustrie, der kommenden Internationalen Automobilausstellung, die Hohenpriester aller auf deutschem Boden produzierenden Autokonzerne, flankiert von den jeweiligen Landesmeßdienern, den MPs Teufel, Stoiber, Schröder, Rau und Eichel, gemeinsam dem Dreiliterauto höchste Weihen verleihen, könnte der Eindruck entstehen, das Gerede vom umweltfreundlichen Verkehr sei ernst gemeint. Und nur aufmerksame taz-Lesende dürften sich daran erinnern, daß ich anläßlich der letzten Automobilmesse in dieser Zeitung die Demagogie vom „Ökoauto“, 1993 erstmals von Greenpeace propagiert, bloßstellte.
Halten wir dreierlei fest:
– Der tatsächliche Kraftstoffverbrauch der sich auf deutschem Boden stauenden Pkw-Flotte ist bis Anfang der achtziger Jahre kontinuierlich gestiegen und verharrt seither auf dem erreichtem Niveau. Der Bundesverkehrsminister gab den durchschnittliche Spritverbrauch je Pkw 1993 in den alten Bundesländern mit 9,8 Liter je 100 Kilometer an. Selbst Shell errechnete, daß der Durchschnittsverbrauch der 1994 neu zugelassenen Pkw bei 9,5 Litern liege anstatt, wie von der Autoindustrie behauptet, bei 7,6 Litern.
– Der tatsächliche Trend geht zu schnellen, schweren, durstigen Pkw. 1986 gab es „nur“ 2,5 Millionen Pkw mit Spitzengeschwindigkeiten von über 180 km/h, 1993 in den alten Bundesländern bereits 8,1 Millionen. Allein die Tendenz, Pkw mit Klimaanlagen auszustatten, um im von Abgasen überheizten Dickicht der Städte cool zu verkehren, wird zusätzlich mehr Kraftstoff verbrauchen, als mit „Ökoautos“ eingespart wird.
– Die tatsächliche Funktion der „Ökoautos“, soweit solche auch gebaut werden, besteht in der Aufspaltung der Multifunktionalität des Autos, wie wir sie bereits mit Geländewagen, „Fun-Cars“, Vans etc. erleben. So sieht General Motors in der BRD neuerdings einen Markt für zweisitzige Pick-ups und importiert 1995 den Chevrolet S10 als fahrende Erinnerung an Natur, Handwerk und Wilden Osten. BMW läßt seine Tochter Rover für den neuen Landrover (113 PS) mit dem Spruch werben: „Freiheit spüren, statt nur davon zu träumen. Daß dieses Gefühl beim Fahrer nicht nur fernab ausgetretener Pfade, sondern schon auf dem Weg ins Büro entsteht, dafür sorgt der Discovery TDi.“ Das Stadtauto ergänzt diese Philosophie einer Vervielfachung der Absatzmärkte. Angesagt sind der Drittwagen für die Zweitfrau und das Shopping-Car als Ergänzung zum Dienstmädchenparagraphen.
Das erste „vollautomatische Parkhaus“, das über einen Lift verfügt und in einem entkernten Fachwerkhaus in Duderstadt errichtet wurde, bringt die Kombination von Teilrationalität und Irrationalität des Gesamtsystems zum Ausdruck, die auch die Debatte um das Dreiliterauto bestimmt: Scheinbar wird weniger Fläche für Kfz-Abstellraum geopfert. Tatsächlich wird mehr Autoverkehr produziert und in die City gelockt. Wer nicht für das Gesamtsystem individueller Autoverkehr Alternativen entwickelt, liefert nur die Tünche für eine Verkehrsorganisation, die zerstörerisch und verantwortungslos ist. Unsere Enkel werden entweder klimatisierte Autos fahren, bei denen auch die Frischluft an Tankstellen bezogen und bezahlt wird. Oder sie werden gegen den Autowahn revoltieren und die Städte für die Menschen zurückerobern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen