■ Ökolumne: Kotzbrocken Von Thomas Worm
Die Befreiung aus der Ohnmacht vor Moruroas Lagune gelang nicht. Chiracs Offiziere zündeten die Bombe doch. Und Greenpeace hatte es nicht verhindert. Was nun folgte, waren Katergefühle. Eine zuvor euphorisierte Journaille verlegte sich enttäuscht aufs Schelten. Von der Woche bis zu den „Tagesthemen“ geißelten plötzlich selbstverliebte Meinungsmacher die Umweltorganisation: Sie sei besoffen durch ihren Sieg über Shell, größenwahnsinnig gegenüber Frankreichs Marine und bei alledem elender Verführer des Fernsehpublikums. Allen voran NDR-Reporter Christoph Lütgert, der auf dem Greenpeaceschiff Rainbow Warrior II in der ersten Reihe saß und die erfolglose Verhinderungstaktik des Nuklearversuchs mit dem Nazi-Volkssturm verglich. Seekranker Kotzbrocken.
Der spritzige Showdown in der Nordsee um die Ölplattform Brent Spar hatte sie alle geil gemacht. Journalisten, die – real oder im Geiste – mit Greenpeace ins Reich der Kokospalmen gesegelt waren und gleich beim ersten Atomknall zu meutern begannen, bewiesen nur zweierlei: Dummheit und kurzen Atem. Hätte Chirac wider Erwarten tatsächlich eingelenkt, wären dieselben Maulhelden mit Mikro, Kamera und Laptop als triumphierende Öko-Paladine heimgekehrt. Nun, es kam anders. Die erste Zündung brachte den vermeintlichen Akteuren im Medientroß wieder ihre passive Chronistenrolle zu Bewußtsein. Und damit Ohnmacht. Zorn auf die „Versager“ machte sich breit, wo vorher neben der Sympathie auch Kollegenneid regiert hatte. Ja, Neid. Betrieben denn die Medienprofis von Greenpeace nicht das erfolgreichste PR- Unternehmen aller Zeiten, bekannt wie Micky Maus, Jesus Christus und BigMäc? Und war es nicht recht und billig, einmal zur Abwechslung die Regenbogenleute fürs eigene Medium zu instrumentalisieren, statt immer nur von ihnen benutzt zu werden? Die Großen der Medienbranche heuerten voller Hoffnung bei der Friedensflotte an. Ergreifende Schwarzweißmalerei mit grünem Hintergrund, ein hehres Ansinnen und last, but not least: Actionbilder – die Erfolgsmischung von Greenpeace versprach riesiges Publikum. Die Medienmaschine startete zur bisher größten Vereinnahmungsaktion der Umweltorganisation.
Nun gibt es nichts auf Erden, was ein originäres Ansinnen so schnell in sein Gegenteil verkehrt wie Infotainment. So kam's. Aus dem Antiatomprotest wurde exotisches Spektakel, aus hilflosen Blockademanövern eine High-noon-Show. Doch selbst das hielt nur kurz vor. Nicht allein Bilder, auch Sündenböcke verbrauchen sich. Denn die Meinungsführer in Funk oder Presse stehen unter Originalitätszwang. Deshalb wechselten sie die Verantwortlichen kurzerhand aus: Nicht der Gernegroß Chirac und seine europäischen Politkumpane waren Schuld am Bombenterror auf Moruroa, sondern diejenigen, die dagegen mobil machten. Greenpeace. Schuld deshalb, weil die es nicht verhindert hatten.
Gewiß, Greenpeace hat den populistischen Weg gewählt, bedient die Mediengesellschaft mit emotional aufgeheizten Bildern. Ökologisches Mind Engineering, bei dem der Kampf des lieben Zwerges gegen den häßlichen Zyklopen Umweltbewußtsein produzieren soll. So bequem geht's leider nicht. Besteht nicht die Gefahr, daß Symbolaktionen zu Ersatzhandlungen mutieren und Fernsehplacebos die Stelle praktischer Umweltpolitik einnehmen? Wer mit dem Teufel um die Wette essen will, braucht einen langen Löffel: Was gestern noch als Konfliktschema echte Botschaften übermittelte, ist vielleicht morgen schon von sensationsgierigen Medien verschlissen. Greenpeace muß mit falschen Freunden bei den richtigen Nachrichten rechnen. Siehe Moruroa.
Doch genug der Blütenketten auf Pina Coladas, zurück ans Handwerk. Wer als Medienmacher dem atomaren Rüstungswahn der französischen Europäer auf der Spur ist, muß keinen Bomben-Törn bei Greenpeace buchen, sondern den eigenen Kopf benutzen. Wo ist die Cover-up-Recherche der ARD zu Chiracs Einsatzszenarios von Atombomben gegen Potentaten, die mit ABC-Waffen drohen? Wo die Enthüllungsstory des Stern über mögliche deutsch-französische Nuklearwaffen-Kooperationen? Wo die von der Woche angeleierte Feldstudie über Tumore und Fehlgeburten auf den äußeren Inseln Tahitis, verpackt in einer Großreportage? Wo nur, wo? Kein Land in Sicht.Foto: taz-Archiv
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