Ökoguerilla: "Manchmal ist es nötig, zu stören"
Aktivisten lassen in Berlin seit Monaten Luft aus den Reifen von Luxusautos - der Staatsschutz ermittelt. Vier der Reifenplätter sprechen zum ersten Mal über ihre Motivation.
taz: Wir haben für dieses Gespräch Anonymität vereinbart, Ihre Namen sind geändert. Warum haben Sie sich überhaupt bei der taz gemeldet?
Maria: Mich ärgert, dass die Berichterstattung über die Aktionen die politische Motivation weitgehend außen vor lässt. Die Zeitungen zitieren vielleicht einen Satz aus einem Bekennerschreiben, aber die Begründung, warum zum Beispiel ich Luxusschlitten kurzfristig lahmlege, bleibt völlig außen vor.
Lisa: Stattdessen werden die Aktivisten von Medien und Staatsschutz kriminalisiert - dabei ist nicht mal geklärt, ob es sich beim Luftablassen aus einem Reifen um Sachbeschädigung handelt. Dennoch werden die drei Männer, die in der vergangenen Woche festgenommen wurden, von der Polizei wie Schwerverbrecher vorgeführt und behandelt.
Die Mercedes- und Porschefahrer Berlins haben keine ruhige Minute mehr. Seit Monaten machen Umweltaktivisten die Hauptstadt unsicher. Sie lassen nachts die Luft aus den Reifen von Luxusautos, die viel Sprit verbrauchen und große Mengen Kohlendioxid in die Luft blasen. Über 200 Fälle sind bisher bei der Polizei aktenkundig. Mit Zetteln, die sie hinter den Scheibenwischer klemmen, warnen die Aktivisten vor dem Plattfuß und begründen die Aktion mit dem Klimawandel. "Wir wären Ihnen sehr verbunden", schreiben sie, "wenn Sie die kurzfristige Stilllegung Ihres Riesenautos in eine langfristige verwandeln würden." Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Bei der taz haben sich jetzt mehrere Menschen gemeldet, die Sprit schluckende Luxusautos "geplättet" haben, wie sie sagen - und es weiter tun werden. US
Sie wollen politische Inhalte transportieren. Bitte schön: Warum lassen Sie Luft aus Reifen?
Maria: In der Debatte über den Klimawandel ist der Verkehrsbereich höchst problematisch. Die CO2-Emissionen steigen hier immer weiter, sowohl Politik als auch Industrie fehlt der Wille, entschieden einzugreifen. Nur ein Beispiel: Die europäische Automobilindustrie hat der Europäischen Union verbindlich zugesichert, den Treibhausgas-Ausstoß aller neu verkauften Autos bis 2008 auf 140 Gramm pro Kilometer oder weniger zu verringern. Davon sind die Konzerne weit entfernt. Sie halten sich nicht an ihre wolkigen Selbstverpflichtungen, gleichzeitig torpedieren sie mit ihrer Lobbyarbeit Klimaschutzgesetze. Gerade deutsche Firmen produzieren weiterhin hochmotorisierte, umweltschädliche Autos. Der Klimawandel ist aber ein massives Problem, das sofort angepackt werden muss.
Sie reden über die Industrie, zielen mit Ihren Aktionen aber auf den Einzelnen.
Oliver: Jeder hat in diesem Zusammenhang eine gesellschaftliche Verantwortung. Einen dicken, benzinfressenden Geländewagen in der Stadt zu fahren, ist einfach ökologischer Irrsinn. Gut, es mag vielleicht einige wenige geben, die damit über die Schotterstrecke zu ihrem Ferienhaus in Dänemark müssen, aber in den meisten Fällen geht es um anderes: um ein Statussymbol, um die Demonstration wirtschaftlichen Erfolgs und gesellschaftlicher Macht.
Wie rechtfertigt das, einzelne Menschen zu schädigen?
Oliver: Schädigen wir sie wirklich? Ich denke: kaum. Der oder die BesitzerIn ärgert sich morgens und ruft den ADAC, muss vielleicht ein Taxi nehmen oder selber pumpen. Es geht nicht darum, jemanden zu schädigen, sondern ihm ein klares Signal zu geben, dass ich diese Autos nicht billige.
Sie üben Selbstjustiz.
Oliver: Nein. Ich fordere die Öffentlichkeit zum Nachdenken auf.
Lisa: Ich sehe den Eingriff in das Private schon kritisch. Mit dem Luftablassen begehe ich eine minimale Sachbeschädigung, wenn überhaupt. Der Fahrer eines dieser Sports Utility Vehicles aber, dieser Mischung aus Limousinen und Geländewagen, begeht Körperverletzung an den Opfern des Klimawandels. Der Klimawandel ist sowieso ein sehr konkretes, sehr schönes Beispiel für gesellschaftliche Zusammenhänge: Durch die Luft, die wir atmen, ist jede mit jedem vernetzt.
Maria: Für mich geht es vor allem um Verantwortlichkeit: Der Klimawandel entsteht ja nicht plötzlich, so ganz von alleine. Wenn ich einen großen Jeep fahre, löse ich den Klimawandel mit aus. Ich, ganz persönlich - auch wenn ich die Folgen meines Tuns vielleicht nicht unmittelbar erfahre.
Auch wenn sich Juristen streiten, ob Luftablassen Sachbeschädigung ist oder nicht - Sie vergreifen sich am grundgesetzlich geschützten Recht am Eigentum. Ist es okay, Gesetze zu verletzen, wenn man selbst glaubt, richtig zu handeln?
Lisa: Das kommt drauf an, leider kann ich mich nicht auf Gesetze verlassen, denn sie sind weder grundsätzlich richtig noch endgültig. Die Gesetzgebung zur Autoindustrie finde ich falsch. Um es frei nach Innenminister Schäuble zu sagen: Die rote Linie ist ganz einfach - nämlich veränderbar.
Die rote Linie ist demokratisch legitimiert.
Lisa: Ja, aber zur Demokratie gehört selbstbestimmtes Handeln. Das Luftablassen ist eine Form der gesellschaftlichen Partizipation. Ich habe die Verpflichtung, meine Stimme deutlich zu machen. Wenn ein Neonazi vor der Schule in meinem Kiez Infomaterial verteilt, dann übertrete ich das Gesetz und nehme es ihm ab. Das werde ich immer tun, egal welches Gesetz mir es verbietet.
Wie sehen die anderen das?
Maria: Ich bin da noch härter. Die Gesetze, die der Staat macht, bilden nicht das ab, was ich als richtig akzeptiere. Ich sehe nicht ein, dass Leute - gesellschaftlich akzeptiert - Schaden anrichten dürfen, ich ihnen aber keinen Hinweis geben darf. Wir machen nichts kaputt, wir setzen ein Symbol: Stopp, so geht es nicht! Das Plätten ist eine Handlung, an der weder Autobesitzer, Hersteller noch Lobbyisten vorbeikommen.
Thomas: Ich glaube übrigens, dass das Fahren eines spritfressenden Jeeps alles andere als gesellschaftlich akzeptiert ist. Die Stimmung hat sich längst gewandelt, aber Politik und Industrie hinken hinterher.
Aber glauben Sie wirklich, dass Sie die Autobesitzer mit Ihren Aktionen zum Umdenken bewegen?
Lisa: Ehrlich gesagt: nein. Aber ein Meinungswandel bei den Betroffenen ist nur ein netter Nebeneffekt. Das wiederholte Luftablassen hat unserem Anliegen eine große Öffentlichkeit verschafft. Zeitungen haben berichtet, Parlamentarier des Berliner Abgeordnetenhauses haben mit Stellungnahmen reagiert. In anderen linken Initiativen wird der Klimawandel immer stärker diskutiert. Dies alles geht Hand in Hand.
Thomas: Diese Auto müssen mit der Zeit die Konnotation "Dreckschleuder" erhalten.
Das können Sie mit konventionellem Engagement auch erreichen. Warum treten Sie nicht einfach bei Greenpeace ein?
Maria: Ich bin mit vielem, was in der Gesellschaft läuft, nicht einverstanden. Ich will außerhalb stehen, nicht von innen an Gesetzen mitwirken. Es geht mir um wirklichen Widerstand - und auch um Ehrlichkeit. Manchmal ist es notwendig zu stören oder Grenzen zu überschreiten.
Das Fahren mit platten Reifen kann gefährlich enden. Gefährden Sie Menschen?
Oliver: Nein. Am besten erkläre ich mal meine Technik: Ich lege ein kleines Steinchen in die Ventilkappe und drehe sie auf das Ventil. Die Luft entweicht dann mit einem lauten Zischen, in spätestens einer halben Stunde ist der Reifen platt. Die Zeit habe ich vorher sogar gestoppt. Dabei plätte ich diagonal - zum Beispiel vorne rechts und hinten links. Wenn sich der Besitzer dann in sein Auto setzt, wackelt der Wagen hin und her, das Lenken fällt schwer. Da fährt man doch nicht los!
Manch ein Berliner Politiker malt schon das Szenario schleudernder Autos auf der Autobahn an die Wand - etwa, wenn die Luft nur langsam entweicht. Wie können Sie dieses Risiko ausschließen?
Maria: Meine Aktionen starte ich mitten in der Nacht, bis zum Morgen ist der Wagen definitiv tiefer gelegt. Außerdem hinterlasse ich ja gut sichtbar einen Zettel an der Windschutzscheibe, der auf die kurzfristige Stilllegung hinweist.
Lisa: Für mich handelt es sich noch nicht mal um Gewalt gegen Sachen, es geht ja nichts kaputt. Es ist eher eine Metapher: Ich lasse dem Status die Luft raus. Solche Autos werden eher von Meinungsträgern gefahren, die machen entsprechend Druck. Deshalb reagieren die Behörden auch so hart. Ich kenne übrigens keinen, der Reifen zerstochen hat, wie es Boulevardzeitungen unterstellt haben.
Die meisten der rund 200 Berliner Autos, bei denen bisher Luft abgelassen wurde, parkten in wohlhabenden Bezirken wie Charlottenburg oder Wilmersdorf. Weil Sie da reiche Kapitalisten treffen?
Oliver: Nö. Ich gehe dahin, wo ich am meisten Klimakiller-Autos finde. Und die stehen eben eher in reichen Gegenden, die Dichte ist einfach höher. Das ist also ein ganz rationaler Ansatz. Ich mache keinen Unterschied zwischen dem Wilmersdorfer Mercedes-Fahrer und dem Kreuzberger Mercedes-Fahrer.
Es geht nur ums Klima, nicht um das System?
Maria: Mir geht es auch ums System. Das Fahren dieser Autos sehe ich als symptomatisch für eine Gesellschaft, in der noch einiges schiefläuft - zum Beispiel Besitztümer sehr ungleich verteilt sind. Und dies wird auch noch auf Kosten aller ausgelebt. Das Fahren von Monsterwagen steht also als Symbol für viele Missstände.
Thomas: Ich unterscheide ausschließlich nach CO2-Ausstoß. Die Autos, die viel Sprit verbrauchen und viel Kohlendioxid in die Luft blasen, bekommen die Plättempfehlung.
INTERVIEW: ULRICH SCHULTE
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