ÖFFENTLICHER DIENST: GESTAFFELTE ARBEITSZEIT IST DAS FALSCHE SIGNAL : Auf Kosten der Jüngeren
Auf den ersten Blick ist es das, was erfahrene Unterhändler als einen vernünftigen Kompromiss bezeichnen. Statt sich in ihren gegensätzlichen Forderungen einzumauern, deuten Arbeitnehmer und Arbeitgeber im öffentlichen Dienst jetzt erstmals eine mögliche Kompromisslinie an. Statt die Arbeitszeit, wie von Ländern und Kommunen gefordert, einheitlich von 38,5 auf 40 Stunden anzuheben, könnte die Stundenzahl gestaffelt werden. Jüngere arbeiten mehr, Ältere weniger: Das ist schon länger eine Lieblingsidee von Ver.di-Chef Frank Bsirske, der dieses Modell aus den baden-württembergischen Universitätskliniken bereits im vorigen Herbst als Vorbild auch für andere Bereiche ins Gespräch brachte.
Doch was zunächst so fortschrittlich klingt, ist in Wahrheit ein Rückschritt. Mit einer solchen Einigung würden die Tarifparteien einen fatalen Trend festschreiben, der die bundesdeutschen Reformdebatte schon seit Jahren prägt: Während die Generation der 40-Jährigen in ihrer Lebensplanung von der vollen Härte der wirtschaftlichen und politischen Veränderungen getroffen wird, versucht die Politik die über 40-Jährigen so gut es geht gegen jeden Wandel abzuschotten. Das zeigt sich, wenn man die überaus langfristig angelegte Absenkung des realen Rentenniveaus betrachtet oder die Debatten über einen abgeschwächten Kündigungsschutz für Jüngere. Über die Hartz-IV-Reform, die den Älteren nahm und den Jüngeren gab, stolperte hingegen gleich eine ganze Regierung.
Nicht dass eine um 18 Minuten täglich verlängerte Arbeitszeit für den Nachwuchs unzumutbar wäre. Aber keiner wird im Ernst glauben, dass die verkürzte Stundenzahl für Ältere noch gelten wird, wenn die Jungen von heute die entsprechende Anzahl von Dienstjahren erreicht haben. Es geht also um eine Ungleichbehandlung der Generationen.Vor allem aber geht es um ein Symbol – nicht zuletzt für die Gewerkschaft selbst: Sie würde einmal mehr demonstrieren, dass ihr die Interessen der überwiegend älteren Mitglieder wichtiger sind als die Gerechtigkeit in der Gesellschaft insgesamt.
RALPH BOLLMANN