Oberste deutsche Sozialrichter urteilen: Ohne Kontoauszug kein Hartz IV
Jobcenter dürfen Kontodaten von Hartz-IV-Beziehern einsehen, entschied das Bundessozialgericht. Bestimmte Angaben dürfen auf den Auszügen aber geschwärzt werden.
BERLIN taz Arbeitsagenturen dürfen von Arbeitslosengeld-II-Beziehern die Offenlegung ihres Kontos verlangen. Das Bundessozialgericht bestätigte am Freitag die bereits bestehende Praxis der meisten Jobcenter. Es nahm aber eine datenschutzrechtliche Einschränkung vor: Die Hartz-IV-Bezieher dürfen den Empfänger einer Überweisung unter bestimmten Umständen auf den Auszügen schwärzen.
Laut der Entscheidung des Bundessozialgerichts sei es grundsätzlich angemessen, wenn vor der Bewilligung eines Hartz-IV-Antrags oder bei Verdacht auf Missbrauch die Kontoauszüge der letzten drei Monate verlangt würden.
Umstritten war, ob der Sozialdatenschutz dabei unzulässig eingeschränkt wird. Das Gericht schränkte deswegen die Pflicht zur Offenlegung nun für bestimmte Daten ein. Informationen, aus denen eine politische, religiöse, philosophische, ethnische oder auch sexuelle Präferenz geschlossen werden kann, dürfen auf Kontoauszügen geschwärzt werden. Wer etwa als Mitglied einer Partei oder Gewerkschaft Beiträge zahlt, ist berechtigt, den Empfänger auf dem Auszug unkenntlich zu machen. Der gezahlte Betrag muss allerdings erkennbar bleiben.
Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix begrüßte diese Einschränkung. "Dem Datenschutz wird nun Rechnung getragen", sagte Sprecherin Maria Gardain der taz. Sie bedaure aber, dass die Sozialrichter der Position des Beauftragten zur Verhältnismäßigkeit nicht folgten. Dieser hatte argumentiert, eine Kontooffenlegung sei unangemessen, solange keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch vorlägen.
Das Bundesarbeitsministerium sieht durch das Urteil keine Veränderung der juristischen Situation. "Nach unserer Auffassung war das, was nun beschlossen wurde, schon vorher geltende Rechtslage", sagte eine Sprecherin der taz. Tatsächlich hatten Sozialgerichte in verschiedenen Ländern aber immer wieder unterschiedliche Urteile gefällt. Arbeitsagenturen hatten die Maßnahme folglich je nach Bundesland unterschiedlich strikt gehandhabt. Fortan soll es diese Unterschiede nicht mehr geben.
In der Praxis könne das Urteil fatale Konsequenzen habe, sagt der auf Arbeitslosengeld-II-Streitfälle spezialisierte Anwalt Freddy Beier. "Das größte Problem daran ist die Repression", sagt der Bremer Jurist. "Wer nun sein Konto nicht offenlegt, wird obdachlos." Der Beschluss sei zudem trotz der Einschränkungen ein "weiterer Schritt auf dem Weg zum gläsernen Bürger". Beier hofft auf eine Anfechtung des Urteils beim Bundesverfassungsgericht.
Geklagt hatte im vorliegenden Fall ein Mann aus München, dem die weitere Zahlung von Arbeitslosengeld II verweigert worden war. Er hatte die Vorlage seiner Kontoauszüge abgelehnt, weil er den Sozialdatenschutz verletzt sah. Die Arbeitsagentur hatte argumentiert, dass nur anhand der Auszüge die Bedürftigkeit festgestellt werden könne.
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