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Obamas Wahlparty in ChicagoDer historische Moment kam plötzlich

Es ist die historische Chance, die Rassenschranken endgültig zu überwinden. Zehntausende bejubelten den neuen Präsidenten bei seiner Siegesrede in Chicago.

Von zehn Zentimeter dicken Panzerglasscheiben geschützt: Obama in Chicago Bild: dpa

Als der Moment kam, der das Gesicht der USA verändern wird, hatten viele ihn noch gar nicht erwartet. Nicht so früh und nicht so unvermittelt. Es war 22 Uhr in Chicago, und in den beiden weißen Festzelten, aufgestellt am Ufer des Michigan-Sees, servierten livrierte Kellner den Ehrengästen eben noch ein paar Drinks.

Plötzlich verkündet der US-Fernsehsender CNN, der an diesem Abend den Grant Park auf hunderten von Großbildschirmen in das Wohnzimmer der Nation verwandelt, die "Breaking News", die Topnachricht. Vom Park und in den angrenzenden Straßen steigt ein schreiender Jubel in den schwarzen Himmel auf, als die Nachrichtensender verkünden: "Barack Obama wird der nächste Präsident der USA".

Abgeordnete, Bürgermeisterinnen, Parteifunktionäre stürzen schreiend aus den Partyzelten. Lachend und weinend rennen sie hinaus über die mit Sperrholzplatten ausgelegten Wege, hin zu der gigantischen Rasenfläche unter freiem Himmel, auf der schon tausende Chicagoer singen, tanzen und kreischen.

Barack Obama war zum Sieger erklärt worden, noch bevor einer der am heißest umkämpften Schlachtfeldstaaten, Virginia, ganz ausgezählt war. Sekunden zuvor hatten der 47-jährige Demokrat und sein republikanischer Rivale John McCain dort Kopf an Kopf gelegen. Dann, plötzlich, überschlägt sich alles. Noch bevor Zeit war, den hauchdünnen Sieg Obamas in Virginia zu berichten, verkündet CNN-Moderator Wolf Blitzer, dass er es geschafft hat: Barack Hussein Obama wird der nächste Präsident der USA sein, der 44. in der 221-jährigen Geschichte der USA.

Von einem historischen Moment werden viele in dieser langen Nacht sprechen. Von einer Neuerfindung der Vereinigten Staaten nach acht Jahren unter George W. Bush, der das Land spaltete wie kaum ein Präsident in der Geschichte der USA. Und vom Beginn einer neuen Ära, in der die Rassenschranken tatsächlich überwunden werden könnten.

Nur wenige Songs und die auf den Bildschirmen übertragene Niederlagen-Rede John McCains müssen die Fans dann noch abwarten, bis Obama im Grant Park angekommen ist. Erstmals wird der Politiker vor seinem Rednerpult von zwei zehn Zentimeter dicken Panzerglasscheiben geschützt. Ein Zeichen, dass die Sicherheitsbehörden keineswegs so entspannt sind wie die Zuschauer.

Als dann die Polizeihubschrauber hoch über dem Park kreisen, erreicht die Nacht ihren Höhepunkt: Um kurz vor elf Uhr betritt Barack Obama gemeinsam mit seinen beiden Töchtern Malia und Sasha und seiner Frau Michelle, der neuen "First Lady", die Bühne.

Schließlich tritt Obama ans Rednerpult. "Change has come to America", sagt er. Der Wandel, Obamas zentrale Botschaft im Wahlkampf, er ist nun da.

Obamas Rede ist nicht triumphal, er wirkt mitunter ernst. Vor ihnen allen läge eine immense Herausforderung, mahnt der zukünftige Präsident: "Zwei Kriege, ein Planet in höchster Gefahr, die schwerste Finanzkrise in einem Jahrhundert." Jetzt sei es an der Zeit, mit der Arbeit zu beginnen, feuert er sich selbst, die US-Bevölkerung und die Welt an.

Die Menge signalisiert mit den Fingern Victory und jubelt, wenn er vom gemeinsamen Erfolg spricht. Doch die Last des Erfolges scheint fast ein bisschen auf Obamas Schultern zu drücken. "Die Straße vor uns wird lang sein. Der Hang wird steil sein. Wir werden nicht alles in einem Jahr oder in einer Amtszeit erreichen", sagt er. "Aber Amerika, nie hatte ich mehr Hoffnung als heute Nacht, dass wir es schaffen werden."

"Yes, we can", skandiert die Menge. "Yes, we can."

Der Augenblick der Gewissheit, obwohl von den meisten an diesem Abend mit nervöser Zuversicht erwartet, ist so befreiend, dass manch ein hartgesottener Politikveteran die Fassung verliert. Reverend Jesse Jackson etwa. Nur wenige Sekunden nachdem klar wurde, dass die US-Amerikaner zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Schwarzen zum Präsidenten gewählt haben, laufen ihm die Tränen über die Wangen.

Jackson ist nur einer unter vielen, der seine Gefühle nicht verbergen kann. Doch es ist Jackson, der Obama, ohne es zu wissen, den Weg bereitet hat. 1984 und 1988 kandidierte der schwarze Bürgerrechtler selbst erfolglos für die demokratische Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten. Weiter als der kämpferische Reverend war zwei Jahrzehnte lang kein Afroamerikaner mehr gekommen - bis Ende August der demokratische Parteitag schließlich Barack Obama als Kandidaten ins Rennen ums Weiße Haus schickte.

"Diese Nacht ist eine Erfüllung, ein Traum wird wahr", sagt der schwarze Kongressabgeordnete Danny K. Davis ergriffen. "Hoffnungen, die schon gestorben waren, werden erhört." Der 68-Jährige weiß nur zu gut, wovon er spricht. Er war als junger Mann genau wie Obama Sozialarbeiter in Chicago. "Diese Nacht ist die Chance, dass wir alle zusammenkommen und endlich an einem Strang ziehen", sagt Davis, dem Vorbeieilende schnell auf die Schulter klopfen oder "Danny, wir haben es geschafft" zurufen. "Wir dürfen nicht vergessen, wie viel Blut von Generationen von Sklaven auf dem langen Weg bis zum heutigen Abend geflossen ist."

Davis repräsentiert den Wahlbezirk Chicagoer Innenstadt im Washingtoner Kongress und ist sichtlich stolz, dass der nun Heimat des ersten schwarzen US-Präsidenten ist. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Bürgermeister der Stadt, Richard Daley gesagt, dass Chicago mit einem Obama-Sieg erstmals ein Schwergewicht in der Demokratischen Partei und im Weißen Haus werden würde. "Es wäre das erste Mal seit John F. Kennedy, dass ein Präsident aus einer Großstadt kommt", sagte der Bürgermeister. "Wir müssen ihm dann nicht erst erklären, was urbane Probleme sind."

John F. Kennedy, Martin Luther King Jr., Abraham Lincoln: Die Menschen scheuen in dieser Wahlnacht nicht die ganz großen Vergleiche, schlagen einen Bogen durch die gesamte US-Geschichte - genauso, wie es Barack Obama in seiner Rede selbst gemacht hat. Deutlich bescheidener, aber mit dem Bewusstsein, ein kleines, wichtiges Rädchen im Getriebe der Obama-Kampagne gewesen zu sein, feiern auf dem für die Helfer abgesperrten Teil des Parks Dan Freburg und Josh Carron. Dan, der eine Mütze über roten Haaren trägt und an einer Cola saugt, sagt immer wieder: "Wahnsinn".

Der 24-Jährige hat seit Beginn der Obama-Kandidatur vor 21 Monaten mitgeschuftet. Er hat Kisten geschleppt, Telefonlisten abgearbeitet, Wähler bequatscht, tonnenweise kalte Pizzen gegessen, Frustrationen ausgestanden und auch noch sein ganzes, mühsam zusammengespartes Geld für den Wahlkampf ausgegeben. "Ich habe alles auf den Kopf gehauen, mein College-Geld und meine Kredite, jetzt bin ich pleite, aber glücklich", sagt er. Monatelang hat er irgendwo im Land bei wildfremden Leuten gewohnt, die Obama-Helfern eine Couch oder ein freies Bett anboten.

Tausende solcher junger Leute haben Obama und sein Team mobilisiert und so eine Bewegung entfacht, die an diesem Abend in Chicago spürbar stolz ist. Auf sich. Und auf die Wandlungsfähigkeit ihres Landes. Für Dans Kumpel Josh, 22, ist Obamas Sieg der tröstliche Beweis dafür, dass "Amerika nicht nur ein Haufen bescheuerter Konservativer ist".

Gefragt, ob sie darauf vertrauen, dass Obama alle seine Versprechen halten wird, antworten Dan und Josh wie gute Politikmanager: "Alle, die Obama unterstützt haben, müssen nun Druck ausüben und an der Sache bleiben, damit er seine Reformpolitik durchsetzen kann." Am Herzen liegt ihnen vor allem eines: dass der Krieg im Irak so bald wie möglich beendet wird.

Auch andere haben an diesem Abend das Gefühl, dass es nach all den Strapazen auch ihre Party ist, die sie hier feiern. Eine ältere, elegant gekleidete, afroamerikanische Dame verzieht das Gesicht, als sie in eines der reihenweise aufgestellten Dixie-Klos schaut. Dann schaut sie sich um und sagt lachend den ebenfalls Anstehenden: "Nach all dem, was ich für diese Kandidatur getan habe, kann ich jetzt ruhig auch noch auf dieses Plumpsklo gehen …"

Nach Obamas Siegerrede, bei der der Jubel immer wieder wie eine Brandung aus Begeisterung hinaus auf den Michigan-See quillt, versuchen nahezu alle knapp 300.000 Zuschauer den Platz so schnell wie möglich zu verlassen. Es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit in dieser Nacht. Fähnchen schwenkend ziehen die Massen ab, singend, tanzend, lachend.

Nun kommt die Stunde der Handys. Wie wild werden Fotos geschossen und verschickt, es wird telefoniert und mit anderen, die keine Tickets bekommen hatten, die Begeisterung besprochen.

Am Ausgang des Parks warten hunderte T-Shirt-Verkäufer. "No fear, change your gear" - "Keine Angst, wechsle deine Klamotten aus", denn jetzt ist ein schwarzer Präsident dran, rappt einer von ihnen. Er war besonders schnell. Das T-Shirt, das er anbietet, zeigt ein goldenes Konterfei Obamas. Die Aufschrift lautet: "The new president".

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