Ob vegan oder mit Käse überbacken: Jeder Tag sollte Anti-Diät-Tag sein: Salami Aleykum
Habibitus
Hengameh Yaghoobifarah
Morgen ist der Internationale Anti-Diät-Tag. Für manche klingt das banal, so wie der Tag der Teppichfalte (3. Mai) oder der Tag der verlorenen Socke (9. Mai). Dabei ist der 6. Mai radikal, denn wir leben in einer von Diätkultur und -industrien durchzogenen Gesellschaft.
Meine erste Diät, die über „Iss weniger Süßigkeiten und Fast Food“-Diktate hinausging, machte ich mit 12. Ich war erst in der sechsten Klasse und Mathe war nicht wirklich mein Ding, trotzdem zählte ich Kalorien mit. Dies war nicht nur eine Kopfrechnungsübung, sondern der Anfang einer Essstörung, die mich bis vor wenigen Jahren begleitete. Sie führte etwa dazu, dass ich mich nicht traute, vor anderen Menschen zu essen, und zu immenser Körperscham. Diese Mechanismen wieder zu verlernen kostete mich viel Kraft und Lebenszeit.
Eine der nervigsten und geläufigsten Aspekte der Diätkultur ist für mich heute noch die Essenspolizei. Die kommt nicht etwa in Uniform und erst, wenn sie per Kurzwahl gerufen wird, sondern schlummert sie in sehr vielen Menschen und äußert sich in Form ungebetener Kommentare. Zum Beispiel: „Das war jetzt aber eine fette Pizza. Da muss ich später noch mal joggen gehen, um sie zu kompensieren.“ Ist mir egal, was du machst, dein Körper, dein Business. In solchen Sätzen steckt jedoch mehr als eine bloße Befriedigung des Mitteilungsbedürfnisses. Es ist oft ein Imperativ: „Ich trainiere die Kalorien ab und das solltest du auch tun.“
Grenzüberschreitende Bemerkungen wie „Wie, du bist dick, obwohl du dich vegan ernährst?“, „Hast du abgenommen?“, „Hast du zugenommen?“, „Boah, du isst noch ein Stück Kuchen?“ sind zwar auf der Lohnarbeit oder bei der Herkunftsfamilie üblicher als in Polit-Gruppen, sind dort aber nicht ausgeschlossen. So verwässern Slogans wie „Riots Not Diets“ zu leeren Feel-Good-Floskeln. Was bringen sie, wenn sie nur Anspruch und nicht Praxis sind? Da kann ich auf mein Demo-Schild gleich „YOLO“ schreiben, das „Carpe Diem“ meiner Generation.
Als dicke Person bist du stets Gegenstand von Diätdiskussionen. Wirst du beim Verschlingen von Fast Food erwischt, propagierst du einen „ungesunden Lifestyle“, gehst du Pumpen, willst du dich Schlankheitsnormen anpassen. Als sei eine Gewichtsabnahme der einzige Grund, sich zu bewegen – und eine zwingende Konsequenz des Sports. Du kannst nie einfach leben, sondern vertrittst entweder die „bösen, verfressenen Dicken“ oder „die guten, gesundheitsbewussten Dicken“.
Schon mal drüber nachgedacht, dass Menschen mehrdimensional sind? Vielleicht trinke ich meinen grünen Smoothie ja auch, weil ich einfach ein_e Instagram-Mitläufer_in bin und mir alles, was teuer und trendy ist, gefällt? Was, wenn ich ins Fitnessstudio gehe, weil ich nicht abnehmen, sondern einen größeren Hintern will?
Wenn mein Körper schon zum permanenten Politikum wird, dann bitte mit meiner Wampe als antikapitalistisches Protestschild. Denn das sind Diäten in erster Linie: neoliberal-kapitalistische Selbstoptimierungszwänge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen