ORTSTERMIN: NIEDERSACHSENS INNENMINISTER WEIHT ÜBERWACHUNGSKAMERAS EIN : Alle brav im Linienbus
Mit fünf Minuten Verspätung, was für hohe Regierungsbeamte auf auswärtigen Presseterminen als überpünktlich zählen darf, rauscht Uwe Schünemann in die Kantine der Oldenburger Verkehr und Wasser GmbH, kurz VWG. Der niedersächsische Innenminister (CDU) ist aus Hannover angereist, um deren nagelneues „Videoschutzsystem“ offiziell in Betrieb zu nehmen. Hinter diesem bemühten Euphemismus verbirgt sich die Tatsache, dass von nun an alle 88 Linienbusse der Stadt mit je vier bis fünf Überwachungskameras ausgestattet sind, deren Bilder live in die Leitstelle der VWG übertragen werden können.
Schünemann hält routiniert seine Ansprache. Er lobt die Stadt für ihre Präventionsarbeit und den Gastgeber für sein Sicherheitssystem. Es sei nicht nur eine Innovation, sondern geradezu eine „neue Innovation“, sagt der Minister. Auch die Akzente, die man jetzt im Bereich der Prävention setze, seien neu. Und die betreffende Technik ja ohnehin, von der „derjenige profitieren soll, der in Not ist“. Der Name Dominik Brunner – der Mann, der an einer Münchner S-Bahn-Station totgeprügelt wurde – fällt geradezu unausweichlich. „Jugendkriminalität“, das sei ein zentrales Thema.
Auf den Einwand eines Journalisten, dass die Kameras auf Bahnhöfen diese Vorfälle ja auch nicht verhindert hätten, gerät der Minister ein wenig ins Stocken: „Wenn man weiß, dass Aufnahmen gemacht werden, hat das präventiven Charakter.“ Ob man das an Zahlen festmachen könne? Nun ja, sagt VWG-Chef Michael Emschermann: Seit sie 2011 mit der Installation der Kameras begonnen hätten, habe es „keine nennenswerten Vorkommnisse gegeben“. Kurz darauf: „Ist vielleicht ein bisschen früh für repräsentative Ergebnisse.“ Schünemann springt ihm bei: „Wo es Videoüberwachung gibt, sind die Zahlen rückläufig.“
Die einzige konkrete Zahl, die für Oldenburg genannt wird, lautet 53: So viele „Straftaten jeder Couleur“ habe es 2011 gegeben, sagt Polizeipräsident Hans-Jürgen Thurau. Und bevor jemand anmerken kann, dass diese Zahl nicht so furchtbar hoch zu sein scheint, herrscht er den Journalisten an, er solle sich mal die Frage stellen, ob er „das eigene Kind lieber in einen Bus mit oder einen ohne Videoüberwachung einsteigen“ lassen wolle.
Es geht in den bereitgestellten Bus. Emschermann erklärt die Funktionsweise des Systems; Schünemann, der sich vielleicht fragt, wann er zuletzt Bus gefahren ist, schaut ihm mit ministerialer Miene dabei zu. In der Enge des Busses quetschen sich Kamerateams und Fotografen, um gute Aufnahmen zu bekommen; einer äußert den Wunsch, Emschermann, Schünemann und Thurau mögen bitte auf eine der Kameras zeigen. Sie tun es. Kameras klicken. Datenschutzrechtlich sei alles abgeklärt, sagt Emschermann, die Aufnahmen würden nach 72 Stunden gelöscht, ein Aufkleber an der Bustür weise auf die Kameras hin.
Letzte Station: Die Leitstelle, mit einer Batterie Monitore auf einem Schreibtisch, an den sich Schünemann setzt. Der Bus, in dem sich die Gruppe gerade die Kameras angeschaut hat, ist losgefahren, die Leitstelle schaltet sich live hinein. „Das ist sonst natürlich streng verboten“, erklärt Emschermann eilig, nur in Notfällen dürfe das geschehen. „Und hier kann man zwischen den Kameras herumschalten?“, fragt Schünemann. Die Bilder aus dem Bus mit den VWG-Mitarbeitern zeigen nichts Besonderes. „Alle brav“, sagt der Minister.
99 Prozent der Fahrer hätten die Videoüberwachung begrüßt, sagt Emschermann, nur ganz wenige hätten sich kritisch geäußert. Die Journalisten bitten Schünemann zum Schluss, für ein Foto eine unmontierte Überwachungskamera in die Hand zu nehmen. Noch zwei Interviews, dann macht sich Schünemann auf den Rückweg, wie geplant nach einer Stunde. „Pünktlich wie die Busse“, scherzt er noch, aber die Oldenburger Pressevertreter sind bereits außer Hörweite. Sie hätten lauthals darüber gelacht. MAIK NOLTE