piwik no script img

Archiv-Artikel

ORTSTERMIN: DEICHKIND IN DER ALSTERDORFER SPORTHALLE Laute Party mit leiser Botschaft

Viele sind verkleidet: Haben sich Müllsäcke übergestülpt, dreieckige Hüte gebastelt, die Gesichter mit Leuchtfarben bemalt. Ein paar Jungs mit T-Shirts auf denen „Yippie Yeah“ steht, nicht älter als 15, schauen erwartungsvoll auf die Bühne. Die Bühne ist noch leer, das Publikum stimmt Schlachtgesänge an in der fast ausverkauften Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg, 7.000 passen da rein.

Hinter dem Vorhang blinkt es bunt, das Publikum wird langsam ungeduldig, Deichkind macht es spannend. Zuerst gibt es einen zehnminütigen Intro-Film: Als Schwein, Rabe und Pferd verkleidete Menschen, vermutlich von Deichkind, irren durch den Wald, begleitet von dumpf-düsterer Musik. Plötzlich ist da ein Strand, auf dem Wasser schwimmt eine überdimensionale, blinkende Pyramide

Der Vorhang geht zur Seite, die Band steht in genau den Pyramidenhüten auf der Bühne, von denen vorher einer im Film zu sehen war, dazu wummern die Beats von „Arbeit nervt“.

Die Künstler sind in Müllsäcke gehüllt und mit fluoreszierender Farbe bemalt, sie springen wie wild geworden über die Bühne, die einer Spielwiese gleicht: Trampoline, leuchtende Regenschirme, Fahrräder, Hüpfburgen.

Spätestens seit dem Auftritt in Stefan Raabs „Eurovision Song Contest“ ist die Hamburger Elektrokombo im Mainstream angekommen. „Deichkind 3.0 – Ihre neue Show“ heißt die jetzige Tournee, und von einem Konzert zu sprechen wäre tatsächlich falsch. Es geht weniger um die Musik als um die Show. Auf der Bühne aufgebaut ist die „Zitze“, eine Saufapperatur, die aus langen Schläuchen Gin Tonic ins Publikum spritzt. Die Band spritzt auch ein bisschen herum: Aus Wasserpistolen oder Magnum-Sektflaschen – für die, die noch nichts abbekommen haben. 32 Euro lässt sich der Deichkind-Fan die Unterhaltung kosten. Das Publikum grölt und wirft Plastikbecher mit Astra auf die Bühne. Von der wird nach dem zweiten Lied ein Schlauchboot in den Zuschauerraum geschoben, in dem einer von den Deichkindern sitzt. Beim zweiten Mal, gegen Ende, ist das Boot randvoll mit Federn gefüllt, die ins Publikum geworfen werden. Kommt gut an.

Die meisten Zuschauer können auch die Texte mitsingen, die es ja auch noch gibt. „Die Leute kommen und protestieren. Sie wollen nicht länger konsumieren. Sie schmeißen all die Leckereien direkt in eure Fresse rein!“, heißt es in „Aufstand im Schlaraffenland“.

Die jetzige Tournee sei vorerst die letzte, heißt es. Danach will die Band Theater machen: „Deichkind in Müll“, produziert von Deichkind-Mitglied DJ Phono und Ted Gaier von den „Goldenen Zitronen“ soll auf Kampnagel in Hamburg laufen. Laut Ankündigung soll es eine „Diskurs-Operette über Starkult, Entertainment und die Macht der Inszenierung“ werden.

UTE BRADE