OFF-KINO : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Der britische Künstler Andy Goldsworthy erschafft Skulpturen aus natürlichen Materialien in der Natur, die meisten von ihnen fragil und vergänglich: Sie schmelzen bei Tauwetter, werden von Flüssen oder der Meeresflut hinweggespült, vom Wind zerfetzt. Was bleibt, sind oft nur die Fotos seiner ästhetisch überaus ansprechenden Arbeiten, die zeigen, wie Goldsworthy Formen und Farben seiner Kunst in eine spannende Beziehung setzt zur Natur und den Kulturlandschaften, in denen er wirkt. Die Dokumentation „Rivers and Tides“ (2000) von Thomas Riedelsheimer verdeutlicht den Schaffensprozess des sympathischen Künstlers sehr anschaulich, der neben seinem Talent auch noch sehr viel Geduld und die Fähigkeit, loslassen zu können, besitzt. (OmU, 23. 6., Freiluftkino Kreuzberg)
Einen experimentellen Essayfilm über einen zweiundsechzig Tage währenden Freitod durch Verhungern zu drehen, könnte einem fast wie kommerzieller Selbstmord vorkommen. Tatsächlich aber ist die 1990 entstandene Erzählung „Miira ni maru made“ (Bis ich zur Mumie werde) des japanischen Autors Masahiko Shimada, die dem Film „Das Summen der Insekten“ des Schweizer Dokumentar- und Experimentalfilmers Peter Liechti zugrunde liegt, in der internationalen Literatur-, Kunst- und Theaterszene durchaus populär, vor allem, seit es Shimadas Erzählung in Form einer fiktionalisierten Tagebuchschilderung auch als Performance mit Musik von Yoshihide Otomo gibt. Die Geschichte geht auf eine wahre Begebenheit zurück, die sich in Japan ereignete: Ein Mann zog sich im Sommer in ein Waldstück zum Sterben zurück, als man ihn Monate später fand, war sein Körper bereits mumifiziert. Er hatte ein Tagebuch hinterlassen, in dem er sein Sterben minutiös beschrieb. Liechti hat Shimadas Text nun als Grundlage für einen Film genommen, der die aus dem Off vorgetragenen Tagebuchaufzeichnungen assoziativ, manchmal symbolisch bebildert, dabei dunkle Stimmungen evoziert und schließlich die Träume und Halluzinationen des Sterbenden in einem dahinfließenden Bewusstseinsstrom vorüberziehen lässt. Die Geräusche von Wind, Regen und Gewitter, das Rascheln der Blätter und Zweige sowie das titelgebende Summen der Insekten werden auf diese Weise zur intensiven Erfahrung. (17.–23. 6., Eiszeit)
Wenn Claude Chabrol einen Krimi dreht, dann geht es in der Regel nicht einfach um die Aufklärung eines Falles, sondern eher um eine seiner stets boshaften Studien der „besseren“ Gesellschaft. Das ist auch in „Kommissar Bellamy“ nicht anders, in dem der von Gérard Depardieu verkörperte Titelheld selbst in diese besseren Kreise eingeheiratet hat und sich im Urlaub nicht nur mit einer Nervensäge, die behauptet einen Mord begangen zu haben, herumplagen muss, sondern auch mit öden gesellschaftlichen Verpflichtungen und einem gleichermaßen selbstmitleidigen wie kleinkriminellen Halbbruder, der ihm dazu noch Anlass zur Eifersucht gibt. Bitter und amüsant. (OmU, 22.–23. 6., Filmmuseum Potsdam)
LARS PENNING