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OB-WahlnachleseManfred Richter - Der Einäugige unter den Bremerhavener Blinden

■ Wie die Oberbürgermeisterwahl über die Bühne gegangen ist

Keiner habe der CDU glauben wollen, daß sie, als sie die Wahl von Oberbürgermeister und Bürgermeister für Bremerhaven wenige Monate vor den Kommunalwahlen betrieb, wirklich die „Bestqualifiziertesten“ wählen würde. So schlug sich Rolf Stindl, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung selber auf die Schulter und rührte damit heftig Schaum auf. Nimmt man nach der Wahl des Noch-FDP-Landesvorsitzenden Manfred Richter zum neuen Oberbürgermeister der Seestadt den politischen Schaumlöffel und schöpft den Schaum, der da geschlagen ward, ab, dann ergibt sich doch ein ziemlich lustiges Bild:

Sieht man einmal davon ab, Peter Pletz von Bündnis 90/Die Grünen recht hatte, wenn er sagte, daß es zwar juristisch legitim sei, so kurz vor einer Kommunalwahl das höchste politische Amt für 8 (in Worten: acht) Jahre zu vergeben, so ist das jedoch noch lange nicht politisch legitim. Sieht man auch davon ab, daß es durchaus, so Pletz weiter, hätte geschehen können, daß aufgrund der Bremerhavener Stadtverfassung auch ein Oberbürgermeister hätte gewählt werden können, der nichteinmal eine relative Mehrheit hätte haben müssen (weil es in diesem Wahlsystem keine Nein-Stimmen und keine Enthaltung gibt!), sieht man auch davon ab, daß mit der Wahl Richters, Niederquells und vor zwei Jahren des Stadtbaurats Holm nun drei Herren von der rechtsradikalen DVU's Gnaden im Magistrat sitzen, dann zeigen sich immer noch interessante und nette Merkwürdigkeiten:

1. Die CDU hat zwar in diesem ganzen Verfahren soetwas wie Initiative bewiesen, ist aber schließlich übers eigene Bein gestolpert. Die „Bestqualifiziertesten“ wollte die CDU aufs Schild heben, ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit. So sollte ein Zeichen gesetzt werden gegen Parteienfilz und Kungelei. Reine Fachleute sollten es nach dem Willen der CDU sein, dem keiner widersprechen wollte. Übersehen wurde dabei allerdings, daß der Posten eines Oberbürgermeisters nicht nur der eines x-beliebigen Amtsleiters ist, sondern ein politischer, einer, der politische Mehrheiten braucht. Und gewählt wurde ja auch schließlich ein Politiker, mitnichten ein Verwaltungsfachmann. Aber ein Politiker, der persönlich und dessen Partei ganz allgemein gründlich bei den WählerInnen durchgefallen ist. Nach dem dilettantisch begonnenen Verfahren gewann so ein Einäugiger unter lauter Blinden.

2. Daß es so kommen konnte, liegt an der Schwäche der faktisch gespaltenen SPD und von Bündnis 90/Die Grünen. Die beiden Parteien beteiligten sich nur an Kneipentischen an den von der CDU inszenierten Machenschaften, und wenn nicht, dann lahm und lustlos. Beide Parteien agierten völlig unpolitisch, indem sie, nachdem das Verfahren einmal in Gang gekommen war, nicht agierten.

Die einzige Möglichkeit, sich der Bedeutung des Amts entsprechend zu verhalten, wären politische Kandidaturen gewesen. Rot-grün verzichtete aber und überließ das Feld den Haselnüssen. Und jetzt jammern sie, daß da einer etwas geworden ist, dessen Partei mutmaßlich nach dem 24. September nicht mehr in der Stadtverordnetenversammlung vertreten sein wird. (Interessierte können sich über die politische Karriere des FDP-Mannes Rolf Vieten schlau machen, der mit ähnlichen Argumenten wie jetzt in Bremerhaven Oberstadtdirektor von Göttingen wurde... das ging ins Auge!)

3. Die Rolle der Nordsee-Zeitung ist besonders lustig. Als Richter angeblich seine Kandidatur erwog, wurde diese Tatsache von dem Monopolblatt, dessen Verleger Ditzen-Blanke unverhohlen Parteigänger der FDP ist, bejubelt. Und der Bewerber mit seinen „hervorragenden Beziehung in Bonn“ wurde zum „Bestqualifiziertesten“ hochgeschrieben. Jeglichen journalistischen Anstand verließ dann am Tag der OB-Wahl der Chefredakteur (weil Schwager des Verlegers) Jörg Jung. In einem Vierspalter auf der ersten Lokalseite forderte der Journalist mit Vehemenz zur Wahl von Richter und Niederquell auf.

Daß ein solcher Ortsbedeuti wie ein Chefredakteur nicht die Grenze zwischen Journalismus und Politik kennt, ist amüsant, daß er aber seinen Meinungsbeitrag nicht als Kommentar sondern als schlichten Bericht auswies, zeigt, daß er nicht einmal das journalistische Handwerk versteht. Aber das macht ja alles nichts. Für Bremerhaven ist das alles gut genug. Es ist einfach zum Lachen! Oder etwa nicht?

Volker Heigenmooser

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