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Archiv-Artikel

Nur ein unabhängiges Montenegro hat Zukunftschancen Europäische Bremser

Da haben sie sich so abgemüht, Montenegro von der Abhaltung eines Referendums über seine Unabhängigkeit abzuhalten. Javier Solana, Chef-Außenpolitiker der Europäischen Union, hob dafür vor vier Jahren „Solania“ aus der Taufe, den in Montenegro ungeliebten Staatenbund Serbien-Montenegro. Dem Druck der EU ist es auch zu verdanken, dass das Referendum über die Unabhängigkeit mit einem hohen Quorum von 55 Prozent Jastimmen abgehalten werden muss. Dabei könnten Montenegro und auch Serbien politisch und wirtschaftlich schon viel weiter sein, hätte Solana den Unabhängigkeitswillen Montenegros nicht immer wieder torpediert.

Die Gründe der EU-Politiker für ihre Skepsis gegenüber einem Referendum klingen zunächst plausibel. Man wolle nicht noch einen weiteren Kleinstaat auf dem Balkan. Montenegro sei mit seinen 650.000 Einwohnern wirtschaftlich nicht lebensfähig. Serbien solle nicht geschwächt werden, weil es ein Garant für die Stabilität der Region sei.

Doch diese Begründungen werden durch vorhandene Erfahrungen widerlegt. Gerade die kleinen Transitionsländer in Ost- und Südosteuropa entwickeln sich gut. Slowenien hat mit seinen 2 Millionen Einwohnern eine stabile Demokratie sowie eine prosperierende Wirtschaft entwickelt. Lettland, Litauen und Estland befinden sich mit ihrer schnell wachsenden Wirtschaft auf der Überholspur, während größere Länder wie Polen in mancherlei Hinsicht stagnieren.

Diese Beispiele beflügeln die Montenegriner: Der Tourismus könne weiterentwickelt werden, das Land verfüge über genügend Energie, ausländische Investoren stünden bereit, sagen sie. Der Weg der Unabhängigkeit ist längst eingeschlagen. Montenegro hat den Euro als Währung eingeführt, seinen Außenhandel entwickelt, das Rechtssystem wird reformiert und die Abhängigkeit von Serbien abgebaut. Zudem hat die politische Führung die Minderheiten der Albaner, Bosniaken und Katholiken im Lande gegen die Angriffe serbischer Nationalisten geschützt.

Es könnten mehr sein, gäbe es nicht Solana. Als Montenegro in den Staatenbund Serbien-Montenegro gezwungen wurde, mussten Reformprojekte zurückgefahren, Europa-kompatible Gesetze revidiert und an die Gesetzgebung im rückschrittlicheren Serbien angeglichen werden. Welch ein Widersinn.

Doch die Rechnung der EU ist nicht aufgegangen. Serbien hat sich trotz aller Hilfestellungen zum Leidwesen der serbischen Demokraten weder ideologisch noch wirtschaftlich von seiner Vergangenheit lösen können. Weiterhin hält die nationalistische Mehrheit an der Fiktion eines großserbischen Staates fest. Wird Montenegro unabhängig, könnte auch die von den Vereinten Nationen verwaltete und mehrheitlich von Albanern bewohnte Provinz Kosovo nicht mehr im Staate gehalten werden. Der großserbische Traum wäre dann wohl endgültig ausgeträumt.

So versuchen die Nationalisten unter der Führung des jetzigen Premierministers Vojislav Koštunica alles, Montenegro bei der Stange zu halten. Die serbisch-orthodoxe Kirche, Teile des alten kommunistischen Parteiapparats, das Militär, die sozial vernachlässigten Schichten in den Städten sowie die in den nördlichen Regionen lebende proserbische Bevölkerung bilden ein von Belgrad unterstütztes Konglomerat, das sich gegen die montenegrinische Unabhängigkeitsbewegung stellt. So stehen sich zwei Strömungen im Lande gegenüber. Die mit den Konterfeis der gesuchten Kriegsverbrecher Radovan Karadžić und Ratko Mladić demonstrierenden Proserben auf der einen Seite. Und auf der anderen die montenegrinische Nationalbewegung, die einen friedlichen Ausgleich mit den Nachbarn sucht und ihre Minderheiten schützt. Die EU, so der Vorwurf aus Montenegros Hauptstadt Podgorica, verbündete sich mit der nationalistischen Mehrheit in Serbien gegen die demokratisch gestimmte Mehrheit in Montenegro.

Die Weigerung Serbiens, den ehemaligen General Ratko Mladić auszuliefern, hat die EU Ende April dazu gezwungen, die Gespräche über eine Annäherung des Landes an die EU einzustellen. Solanas Strategie ist damit gescheitert. Mehr noch, stimmt die Bevölkerung Montenegros weit über das Quorum hinaus mit Ja, waren all seine Mühen vergeblich. Liegt die Mehrheit aber nur bei knapp über 55 Prozent, ist ein ernsthafter Konflikt vorgezeichnet. Solana und die EU sind dann für die Konsequenzen mitverantwortlich. ERICH RATHFELDER