Normalzeit : Helmut Höge über ausgelebte Generationengräben
Demospaltungen und Saaltumulte
Was ist nur mit den Neu- und Altlinken los? Erst zerren sich die maoistischen MLPD-Kader und die karrieristischen Attac-Yuppies gegenseitig von ihren Lautsprecherwagen, demonstrieren getrennt und mobilisieren gar zu verschiedenen deutschen bzw. europäischen Feiertagen. Und jetzt zerstreiten sich auch noch die alten und jungen Ostberliner Bürgerrechtler.
Letztere, um die Redaktion des im Haus der Demokratie domizilierten telegraph (der einstigen Umweltbibliothek) geschart, hatten zu einer Diskussion über die Montagsdemos „Wir haben es satt – und jetzt?“ geladen. Wobei dann jedoch eher die Alten das Podium bestellten – und dann auch besetzten: Sebastian Pflugbeil, Reinhard Schult, Wolfgang Templin, Klaus Wolfram und Pfarrer Hans-Jochen Vogel.
Gleich zu Beginn der Veranstaltungsreihe namens „Dialog und Vielfalt“ brachte ein telegraph-Redakteur seinen „Unmut“ über die Beteiligung von Templin „lautstark zum Ausdruck“: Er verlangte von ihm eine Erklärung für seine „jahrelangen Aktivitäten in der rechten Szene“. Soll heißen: über seine Mitarbeit in der Jungen Freiheit, im „Berliner Appell“, beim Mut, in der „Gedenkbibliothek“ und im „Mauermuseum“. Dieses „falsch verstandene Demokratieverständnis“ hatte ihm u. a. ein Schreibverbot in der taz eingebracht.
Templin weigerte sich, dazu Stellung zu nehmen, die „Tumulte“ hielten aber an, so dass er schließlich zusammen mit Pflugbeil, Schult und Wolfram das Podium verließ. Nur Vogel blieb und diskutierte weiter. Wolfram gab hinterher eine Ehrenerklärung für Templin ab: „Dieser Dummheit keine Kraft und keine Minute! Mein alter Freund Wolfgang Templin, mit dem ich vor 30 Jahren als sozialistischer DDR-Oppositioneller begann, hat eine große Vorliebe für Spontaneität. Das hat uns öfter auf verschiedene Wege geführt. Doch seiner Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst und gegen bornierte Eliten war immer zu vertrauen. An die Seite der Montagsdemonstranten bringt so einen nur gelebte Ehrlichkeit. Und sind die Demonstranten nicht gerade unterwegs, gelebte Stagnation und Verzweiflung von sich abzuschütteln? Wo solche Wege sich kreuzen, kann ein reales Gespräch entstehen. Dort aber, wo die Borniertheit von unten die von oben ergänzt, stirbt das Gespräch.“
Auch Pflugbeil wollte den Vorfall nicht unkommentiert lassen: „Wir sind empört, welche Behandlung Gäste im Haus der Demokratie erfahren. Wir erwarten, dass sich Vorstand und Kuratorium bei Wolfgang Templin entschuldigen. Wolfgang wurde auf die unflätigste Art und Weise angegriffen und beleidigt. Wir hoffen, dass Vorstand, Kuratorium und Mieter eine Diskussion über den Rahmen einer demokratischen Streitkultur führen und darüber nachdenken, ob Mieter wie die Mitglieder der Redaktion des telegraph noch Teil dieser Streitkultur sind. Wir sind aufgrund unserer Erfahrung an diesem 20. 9. 04 und der ungeklärten demokratischen Spielregeln weder als Gäste noch als Akteure bereit, an Veranstaltungen und Projekten des Hauses mitzuwirken, solange es keinen Konsens über eine befriedigende Position zu den demokratischen Spielregeln im Haus der Demokratie und Menschenrechte gibt.“ Schult sprach in seiner Rundmail gar von „Linksfaschismus“.
Die nun fast mit „Rauswurf“ bedrohte telegraph-Mannschaft wandte sich daraufhin ebenfalls an Vorstand, Kuratorium und alle Mieter des HdD: „Durch das Fehlen einer Podiumsleitung konnte keine Einigung über die Verfahrensweise erzielt werden. Pflugbeil, Schult, Templin und Wolfram verließen den Raum. Es war niemals von der telegraph-Redaktion geplant und vorbereitet worden, und es wurde auch nicht versucht, die Veranstaltung zu sabotieren und zum Abbruch zu bringen. Die Stimmung der BesucherInnen war gespalten … Das politische Versagen auf der Veranstaltung besteht nicht im Tumult zu Beginn oder in der ‚Einhaltung demokratischer Spielregeln‘, sondern dass daraufhin die Leute des Neuen Forums den Saal verlassen haben.“
Allein H.-J. Vogel versuchte – „von der Provinz aus“ (Chemnitz) –, die Wogen zu glätten: „Laufen wir nicht gerade Gefahr, als ‚alte Kämpfer‘ bzw. alte Männer noch einmal einen zweiten revolutionären Frühling erleben zu wollen …“