Normalzeit : HELMUT HÖGE über Verlierer
Und was nun?!
Richard Sennett bezeichnete das Scheitern einmal als das letzte große Tabu. Davon kann nun keine Rede mehr sein! Das „Scheitern“ ist auch und gerade nach dem Interruptus des rot-grünen „Regierungsprojekts“ ein Topthema. Im Hebbel-Theater fand gerade die „1. Berliner Biennale für Management und Beratung im System“ statt, organisiert unter anderem von dem Soziologen Dirk Baecker, der zuvor ein Buch über „Postheroisches Management“ veröffentlichte. Hier ging es jedoch um „intelligentes Management und intelligente Beratung“.
Unter anderem zeigte der Dokumentarist Harun Farocki dazu einen Szenenquerschnitt aus seinen Filmen, die Rollenspiele von Angestellten, Verkaufs- und Werbeverhandlungen sowie Investmentgespräche zeigten. Da war nichts Intelligentes dabei, dafür aber um so mehr Präheroisches – etwa wie die Protagonisten ihre Vertreterweisheiten „kommunizierten“.
Darüber hinaus gab es eine Reihe von „Key Notes“ (getexteten Reden) und „Workshops“, darunter einen von drei alpinen „Consultants“ beziehungsweise „Coaches“ über „Die Kunst des Scheiterns“. Ihre These lautete: In Krisen „stehen Führungskräfte unter besonderem Druck: Sie sollen die realen Gefahren für Personen und Organisationen abwenden …“
Gegen eine solche Verklärung – denn Manager sind heute das, was einst der Adel war – richtet sich die von einer Gruppe von Frauen im Potsdamer Kunstverein organisierte Ausstellung „Verpasste Gelegenheiten – Symptome der Überforderung“. Sie thematisiert exemplarisch das Großprojekt „Cargo-Lifter“ (mit dem 70.000 Kleinaktionäre „scheiterten“), sowie einige „Reformideologien, die sich ja jeweils auf die vergangenen verpassten Gelegenheiten berufen und ihre Rechtfertigung in der zukünftigen Vermeidung von verpassten Gelegenheiten begründen“. Als Beispiel dafür führt die Ausstellung „Manager“ aus der „Zukunftsagentur Brandenburg“ (ZAB) an, die eine „Marke Brandenburg“ kreierten und nun „Branchen-Kompetenzfelder“ (Cluster) fördern.
Diese mit Anglizismen gepflasterte Talfahrt ins asozial Atomisierte geht rasant weiter – bis zum „Familienmanagement-Training“ von Handwerkergattinnen, der Ersetzung der Stadtteilbeiräte von unten durch „Quartiersmanager“ von oben – und den ganz besonders gemeinen Arbeitslosen- und Ich-AG-Beratern. „Keine Sorge, wird schon schief gehen“, heißt dazu eine Studie von Christiane Zschirnt. Sie wurde von der Agentur Eggers & Landwehr, die gerade selbst mit einem Lesecafé-Projekt scheiterte, zum Druck befördert.
Zschirnts Buch – mit dem Beckett’schen Motto „Besser Scheitern“ – ist vor allem den klassisch gescheiterten Helden gewidmet: Odysseus, Ödipus, Hamlet und Don Quichotte. Denn „die Literatur kennt seit ihren Anfängen (nur) zwei wiederkehrende Themen, die Liebe und das Scheitern“. Dazu hat kürzlich auch der Spiegel Erhellendes beigesteuert: Einmal mit einer Titelgeschichte: „Wozu Sex? – das größte Rätsel der Evolution“, verfasst von der Hausbiologin von Bredow. In dem Text beweist sie glasklar, dass die Paarung – bei Mensch, Tier und Bakterie – den gleichen Gesetzen wie die Managerökonomie gehorcht. Diese ist also ebenso natürlich wie jene stets profitorientiert. Damit sind endlich – nach dem Scheitern des Sozialismus – Natur und Kultur vollständig in Harmonie gebracht – auch wenn die Augstein-Tochter Franziska mault: Was soll dieses ganze belanglose Zeug im Spiegel?
Im Heft darauf kam dann die Philosophiestudentin der Humboldt-Uni, von Schirach, mit dem Text „Tanz um die Lust“ zu Wort. Ihre These lautet: Alle Beziehungen werden pornografisiert – „entfremdet“. Bloß die „Liebe“ hält dagegen, denn nur sie „befreit uns aus den hedonistischen Referenzsystemen“. Whatever that is, aber damit kennt auch diese Autorin nur noch zwei Themen, „die Liebe und das Scheitern“, was im Kapitalismus jedoch Jacke wie Hose ist.