■ Normalzeit: Beerdigungsreden und -kränze
Am 22. Dezember wurde Hellmut Becker in Zehlendorf beerdigt, er hatte nach der Befreiung im berühmten Wilhelmstraßenprozeß Staatssekretär Ernst von Weizsäcker verteidigt. Dessen Sohn, Richard, der damals Hellmut Becker bei der PR-Kampagne der Verteidigung geholfen hatte, erschien nun mit seinen bundespräsidialen Bodyguards auf dem Waldfriedhof, wo auch Wolfgang Neuss ruht. Die Rede hielt eine Pastorin. Die quasi offizielle Würdigung Beckers erledigten die Feuilletonisten, die natürlich – feige – kein einziges Wort über seine und Richard von Weizsäckers üble Verteidigung in Nürnberg verloren!
Das holen wir hier deswegen nach: Der Hauptankläger im Nürnberger WilhelmstraßenProzeß war Robert M.W. Kempner, ein preußischer Jurist, der mit den Amerikanern aus der Emigration zurückgekehrt war und den die Zeit dann 1950 im Zusammenhang mit seiner Weizsäcker-Anklage mit Roland Freisler verglich, gar als „Menschenjäger“ beschimpfte. Hellmut Becker und Richard v. Weizsäcker gelang es damit, den angeklagten Schreibtischtäter Ernst von Weizsäcker, der immerhin die Eichmannsche Deportation ausländischer Juden eigenhändig abgesegnet hatte (natürlich nur, um „Schlimmeres zu verhüten“), als Widerstandskämpfer zu verkaufen. Robert M.W. Kempner starb einige Monate vor Hellmut Becker, er wurde am 24. August auf dem Lichterfelder Parkfriedhof beerdigt, wo sich auch das Grab seiner Mutter, Lydia Rabinowitsch-Kempner, die erste preußische Professorin und Feministin, befindet. Die Rede in der Kapelle hielt Ignatz Bubis, und der sprach unter anderem von der „Freundschaft“ zwischen dem Verstorbenen und dem jetzigen Bundespräsidenten seit dem Nürnberger Prozeß.
Hier irrt Bubis! Um es mit Harry Rowohlt zu sagen, der das seinerzeit zu Siegfried Unselds lügenhafter Leichenrede überm Grab seines Bruders, Ledig-Rowohlt, geäußert hatte.
Ignatz Bubis bekam bereits im September einen Brief von Kempner-Fan H.D. Heilmann, in dem dieser ihm unter anderem mitteilte: „Kempner sprach mir gegenüber vom ,Freundeskreis der Kriegsverbrecher‘, dessen Spiritus rector die Verteidigung (H. Becker, R. v. Weizsäcker) gewesen war; und ich darf bemerken, daß Kempner nach Abschluß dieses Verfahrens ein zweitesmal ,emigriert‘ ist.“ In anderen Worten: Die Weizsäcker- Säcke, das waren in Kempners Augen die Schlimmsten! Freundschaft?! „Sie verdienen diese Hatz/like rats!“ so das Motto seiner Erinnerungen „Ankläger einer Epoche“.
Bubis hielt es nicht für nötig, Heilmanns Brief zu beantworten. Dafür reagierte er aber, und das sei hier nun dankbar vermerkt, auf einen anderen Brief – von der Witwe des am 15. 2. 92 verstorbenen Politbüro-Mitglieds Hermann Axen, Sonja Axen. Sie, die ebenso wie ihr Mann eine „Verfolgte des Naziregimes“ war und zuletzt als Chefredakteurin der Kinderzeitschrift Bummi gearbeitet hatte, bekommt heute – wg. Staatsnähe – keine Sonderrente, dazu lebt sie noch bei ihrer Tochter in Karlshorst in einem Haus, aus dem das Bundesvermögensamt sie gerade vertreibt. Bubis versicherte ihr nun: 1. hat der VdN-Status (Sonja Axen saß im Zuchthaus, ihr Mann war in Auschwitz gewesen) nichts mit „Staatsnähe“ zu tun, und 2. bekommt sogar die „Witwe von Roland Freisler“ eine bis heute steigende Rente.
Übrigens: Erich Honecker wurde in Moabit ausgerechnet von Hellmut Beckers Sohn Nicolas verteidigt. Der Staatsratsvorsitzende bekommt eine VdN- Rente. Was für ein Durcheinander. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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