■ Normalzeit: Seewasser-Aquarium im Arbeitsgericht
Severin Weiland berichtete mehrmals über den zweijährigen Arbeitskampf der Belegschaft des Gerätebatteriewerks Belfa- Oberspree. Zuletzt gelang es dort 20 Hungerstreikenden, daß ihr Betrieb, statt liquidiert zu werden, doch noch privatisiert wurde. Die neuen Besitzer, ein Münchner Batterievertrieb namens „Batropa“, übernahmen allerdings nur 85 der 130 Mitarbeiter. Zu den Entlassenen zählten auch die beiden aktivsten Betriebsräte, Peter Hartmann und Renate Mudrack. Renate Mudrack schloß jetzt vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich mit den neuen Belfa-Eignern, die nicht einsehen wollten, daß sie mit dem Kauf auch sämtliche Betriebsräte mitübernommen hatten.
Ihr Münchner Anwalt hatte dann aber doch noch weitere Argumente gegen die Wiedereinstellung wenigstens der zwei Arbeitnehmervertreter in petto: 1. hätten die beiden Ersatzarbeitsplätze in einer Treuhand-Restverwertungsgesellschaft abgelehnt; 2. würde ihre Wiedereinstellung den Betriebsfrieden gefährden: „Hören Sie sich dazu mal die fünf verbliebenen Betriebsräte an, den neuen Vorsitzenden Herrn Kiel zum Beispiel: Es gibt keinen Klassenkampf mehr!“; 3. ein Appell an die gesellschaftliche Verantwortung des Gerichts: „Meine Mandanten sind hier, um Arbeitsplätze in Berlin zu schaffen, trotz all der gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme, das sollte man doch nicht gefährden.“ Der milchgesichtige Vorsitzende blieb hart: „15.000 DM Auslösung sind zuwenig, sag' ich Ihnen gleich.“ Schließlich einigte man sich auf 22.000 DM – von Beklagtenseite widerruflich, falls die Treuhand den Belfa-Besitzern, die gerade dabei sind, das ganze Gelände an der Spree ebenfalls zu kaufen, die Auslösesumme nicht wenigstens zur Hälfte rückerstattet.
Renate Mudrack, Maschinenbau-Technikerin und seit 15 Jahren bei Belfa, konnte das Urteil gleich mit nach Hause nehmen. Ihr Mann ist Strömungsforscher an der TU, und demnächst fahren sie in Urlaub. 6.000 DM wird man ihr sofort überweisen. Trotzdem war sie unzufrieden: „Ich wäre lieber ökonomisch selbständig geblieben!“ Peter Hartmann, der nicht nur wiedereingestellt werden will, sondern auch erneut als Betriebsrat bei Belfa kandidiert, will sich dagegen „auch nicht mit noch mehr Geld abspeisen lassen“ – an seinem Arbeitsgerichtstermin am 9. März. Auch er verreist jedoch erst einmal – nach Portugal, zu einem Arbeitskämpfertreffen.
Ich habe es übernommen, bis dahin ein Dossier über die Belfa- Geschäftsführer Hauser, Boeckeler und Thieme zusammenzustellen. Gegen die beiden ersteren sind bereits einige Klagen ehemaliger Mitarbeiter ihrer in Konkurs gegangenen „Elektrozentrale“ in Tuttlingen anhängig.
P.S.: Das Beste am Arbeitsgericht ist das Seewasser-Aquarium in der Kantine, mit gepflegter Korallenriff-Flora und -Fauna. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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