■ Normalzeit: Innere und äußere Wüsten
Neulich wollte ich mal die gerade baulich verjüngte „Insel der Jugend“ kontrollieren. Im Treptower Park geriet ich plötzlich in ein kleines Bundeswehrmanöver. Überall lagen soldatische Kleingruppen in Kampfanzügen herum und warteten auf weitere Befehle. Sie gehörten zum Jäger- Bataillon, das in der nahen Puschkinallee stationiert ist. Später traf ich zwei versprengte Jäger am sowjetischen Ehrenmal, wo sie den Skateboardfahrern zuschauten. Wir kamen ins Gespräch. Erst nörgelten sie wie alle über den „Barras“, dann waren sie aber doch weitaus besser informiert über die Kontroversen der zukünftigen Bundeswehr-Out-of- area-Einsätze als ich, auch wußten sie, daß man die Soldaten in Somalia mit alt-neuen Lettow- Vorbeck-Rommel-Schlapphüten ausgerüstet hatte.
Sie wußten jedoch noch nicht, daß verschiedene Hilfsorganisationen, wie „Brot für die Welt“, derzeit Analysen des deutschen Militäreinsatzes in Somalia erstellen lassen: in Vorbereitung eines zukünftigen Zusammengehens von Entwicklungshilfe, Militär und Hilfsorganisationen. Letzteren gehen langsam die finanziellen Mittel aus. Die beiden Jungkrieger begrüßten diesen sich anbahnenden militärisch-humanistischen Komplex (MHK). Und zwar aus Soldatensicht: „Die Bundeswehr kann davon nur profitieren, wenn ihr bei Einsätzen und Konflikten mehr Intelligenz als bloß Logistik, Sicherheit und Schnelligkeit abverlangt wird, die Entwicklungshelfer haben doch schon jahrzehntelange Erfahrungen mit gescheiterten Dritte- Welt-Projekten hinter sich.
Außerdem wird dabei der Barras vielleicht auch wieder für die Gebildeten interessant. Die verweigern doch jetzt fast alle, nur der perspektivlose Bodensatz von Rechten, Autoritätsabhängigen, Häßlichen und Alkoholverblödeten geht noch zum Bund.“ Da sprach der Abiturient in einer Minderheitenposition aus ihm. Ich setzte noch einen drauf: „Vielleicht wird auf diese Weise die Bundeswehr zu einem international begehrten mobilen Krisenmanagement, das sogar Geld einspielt?“ Es war eine Anspielung auf Kennedys gescheitertes „Peace Corps“-Konzept, aber das kannten die beiden nicht mehr. Dafür hatten sie gerade Goytisolo gelesen und aus dessen Erklärung für die Rückständigkeit Spaniens – Folge der Vertreibung von Juden und Arabern vor 500 Jahren um der Blutreinheit willen – den Schluß gezogen: „Diese ganzen Ausländer, Türken und Jugos, müßten ebenfalls in die Bundeswehr dürfen. 1. sind sie dann vielleicht selbstbewußter, 2. sehen sie bestimmte Dinge, des Islams zum Beispiel, anders, besser, und 3. wäre das nicht die schlechteste Abfederung bei der totalen Durchmischung des globalen Dorfes, die stattfindet.“
Allerdings könnte es doch aber sein, daß sich bei uns, seit dem Versuch, die Juden, Zigeuner und Slawen auszurotten, und forciert jetzt durch den Wegfall der Ost- West-Spaltung, ebenfalls eine völlige reaktionäre Verblödung, franquistischer Stillstand, eingeschlichen hat? Dem einen Soldaten fiel dazu eine Geschichte ein: Als Verteidigungsminister Rühe nach Somalia kam, erklärte er den mitgereisten Journalisten, kurz bevor er stolperte: „Unsere Jungs haben eine tolle Arbeit geleistet.“ Dabei zeigte er in weitem Umkreis um sich herum. „Sie hätten mal sehen sollen, wie das hier vorher aussah – die reinste Russenpiste.“
Das sagte der wirklich – sie brachten es im Fernsehen. Da sprach das Unbewußte eines dummdeutschen Militärkopfes selbst aus Rühe. Und auch noch am völlig falschen Ort, denn die „Piste“ sah, bevor die Deutschen kamen, genauso aus wie hinterher: Es war einfach ein ödes Stück Wüste. Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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