■ Normalzeit: Ein First-class-Kolleg für Too-late-Comer
„Es gibt immer zu viel Deutung und nie genug Fakten. Die Akte durch Deutung sind am gefährlichsten für die Freiheit“, meinte Foucault-Assistent Francois Ewald einmal – während eines von ihm organisierten Jour fixe im Grunewalder Wissenschaftskolleg. Dieser „Zauberberg ohne Krankheit“ (Grass) wird von Wolf Lepenies gemanagt, der einige schöne Wissenschafts-Geschichten veröffentlicht hat. Trotzdem wirft auch er immer öfter bloß mit „Filetstücken zum Speckgürtel“, wie man im Paternoster des Bausenators die zusammengekungelten Investitionsprojekte nennt. Lepenies ist ein 68er-Wendehals – man sehe sich seine alten Bücher zur Sozialisationstheorie daraufhin an.
In dem von der Ernst-Reuter- Stiftung mitgetragenen Kolleg, das stets in der Pflicht stand, zum Elite-Info herunterzukommen, hat er zwar anfänglich gerne auch mal Kürnummern intendiert, aber durchgehend eine abgesicherte Hochhuth-Enzensberger- Linie verfolgt. Als „Ost-West-Salon“ (Abendschau) ist das Ganze nun auch noch fatal politisiert worden: von Hildegard Hamm- Brücher über Edzard Reuter, Antje Vollmer bis zu Jens Reich. „Die Summe des Scheiterns muß Sinn ergeben“, meinte Michael Kukutz einmal zu seiner Neue- Forum-Vergangenheit. Die Mercedesse vor der Tür des Wissenschaftskollegs gehören zwar den Diskurs-Fans aus Wirtschaft und Politik. Aber wie ein älterer Kolleg-fellow-Forscher neulich so schön sagte: „Wir sind zu spät gekommen, jetzt beeilen wir uns, auf die Lokomotive zu springen.“
Warum eigentlich nicht in den Speisewagen? Die Zug-Metapher stammt, wie man weiß, von Günter Grass. Im Hinterzimmer des Restaurants „Pasternak“ ist daraus mittlerweile eine ganze „Meta-Märklin-Eisenbahn“ (Eberhard Knödler-Bunte) geworden. Die Phantasien der Lokführer reichen vom Staatstrust Waggonbau bis zum Transsib- Joint-venture und der Magnetifizierung kleiner Kurzstrecken – nach Petuschka etwa. Was bei Bahnwärter Thiel, Stolpe, bereits eine hektische Suche nach „Überzeugungstätern“ für das „Drehkreuz Europas“ auslöste. Er denkt dabei vor allem an den Drehstern auf dem Europa-Center: Edzard Reuter.
Auf einem Innovationskongreß des Wirtschaftssenators Meisner hatte der Siemens-Statthalter in der Kopfbahnhof-Stadt schon ein Jahr zuvor orakelt: „Der Osten muß sich in die dynamischen süddeutschen Verkehrsnetze integrieren und wird das auch.“ Einen Umzug der zwei Siemens-Erben – vom Starnberger See, „wo sie aufwuchsen“, in die Havelberge etwa – hielt er jedoch noch für verfrüht: „Die Gegend um Werder muß erstmal entsprechend entwickelt werden.“ Gerade global players seien in dieser Hinsicht besonders gefährdet. Im Wissenschaftskolleg sprach unlängst jemand von „Freiheitslag“, was nichts mit einer „Gerechtigkeitslücke“ (Monika Wulf-Mathies) zu tun habe. Eine „Brückenfunktion“ (Regine Hildebrandt) nimmt dabei kurioserweise die eine Spur breitere Russenstrecke ein: die russische Intelligenz. Mit den Schwaben haben sie etwas Entscheidendes gemeinsam: das Grübeln – das letztlich auf ein Recht zum Unglücklichsein hinausläuft. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, daß die in Harvard chrashgekursten Mercedes-„Macher“ noch irgend etwas mit schwäbisch-sibirisch Zergrübeltem zu tun haben. Lepenies laboriert dabei, ähnlich wie Gedenk-Kombinatsdirektor Stölzel, am roten Faden nach oben herum, den es in Berlin aber nicht gibt.
Schon existiert in Ostberlin ein Wissenschaftsklub, der sich, von Siemens am Pergamon-Museum entmietet, in der Mulackstraße neu angesiedelt hat, zusammen mit den „Schattenlinien“, die sich wiederum Heiner Müllers „bedienen“ („Keine Orientierung jetzt“ und „Nie abgehoben leben, das ist natürlich wichtig“). An diesem Neben-„Institut für Heuristik“ hängt der Merve-Club dran, der seinerseits so oft mit seinen gestanzten Jamben zu mehr Juxtaposition in der Theoriebildung abblitzte – beim Wissenschaftskolleg. Helmut Höge
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