■ Normalzeit: Alter und neuer Filz
Wenn einer für sein Engagement bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze im Osten eine öffentliche Ehrung verdient hätte, dann ist es Horst Möhring. Der ehemalige Vorsitzende der LPG Lenzen schaffte es, sämtliche Mitarbeiter, ausgenommen die Vorruheständler, weiterzubeschäftigen: 300 Leute insgesamt, das sind fast 80 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter der Großgemeinde Lenzen/Elbe (Westprignitz). Seine Kolchose heißt heute GWL: Gesellschaft zur Wirtschaftsförderung, Qualifizierung und Beschäftigung mbH.
Über eine Holding werden 4.700 Hektar bewirtschaftet – davon 52 Prozent in zwei Landschaftspflegebetrieben, 500 Hektar mit einem Rinderzuchtbetrieb, der unter anderem Alete mit Bio-Rindfleisch beliefert, und 1.024 Hektar mit einem Marktfruchtbetrieb. Über 2.000 Hektar sind auf „Bioland“ umgestellt worden.
In allen Bereichen wird experimentiert und ferner mit universitären Forschungseinrichtungen zusammengearbeitet. Darunter werden auch Arzneipflanzen und Färbepflanzen angebaut, letztere benötigt die GWL-Filzmanufaktur, in der sieben Frauen beschäftigt sind: Sie verarbeiten die Wolle der GWL-eigenen Schafherde. Die Blumen des Naturlehrgartens dienen wiederum einigen Floristinnen der GWL zur Herstellung von direkt vermarkteten „floristischen Objekten“. Demnächst sollen noch einige Hanffelder hinzukommen – und vielleicht sogar eine Zellstoff- fabrik in Wittenberge.
Horst Möhring vermißt die „Visionen“ beim heutigen Wirtschaften. Dem konnten seine zukünftigen Geschäftspartner – vom Berliner Hanfhaus – nur zustimmen. Sie waren auf Einladung des GWL-Geschäftsführers nach Lenzen gekommen.
Ich hatte bis dahin – in völlig anderer Wahrnehmung als der Verfasser des Spiegel-Artikels über LPGen – schon viele tolle Nach-Wende-Kolchosen besucht, erwähnt seien die in Glasin, Golzow und Schmachtenhagen. Aber die GLW in Lenzen erwies sich als eine absolute Idylle – wahrscheinlich noch mehr und nun erst recht als zu sozialistischen Zeiten: Das machte sie noch gemütlicher!
Die LPGen hatten in der Umwandlungszeit von der CDU/ CSU über den Bauernverband bis zum letzten holländischen Bauern und dem allerletzten schwäbischen Rechtsanwalt so ziemlich alle gegen sich. Die meisten waren dabei auf der Strecke geblieben, einige nur, weil sie wie gelähmt waren – als selbst ihr eigener Verband und die Bauernpartei zum Feind überliefen.
Ich wüßte auch viel Gutes über westdeutsche Bauern zu sagen, aber die GLW Lenzen hat – jetzt noch mehr als früher – mit deren „Lebensmodellen“ kaum etwas gemeinsam. Ihre Standorte sind über einige Dörfer verteilt, deswegen gibt es mehrere Kantinen. Auf allen Tischen lagen Adventskränze – angefertigt von den GLW-Floristinnen. Als Adventskranz-Verächter fiel uns dies sofort auf. Die vier Frauen hatten ihre Arbeitsplätze im Keller des GLW-Lehrlingswohnheims am Rudower See und machten gerade eine Kaffeepause mit dem Leiter des Naturlehrgartens. Dieser verarbeitet die Pflanzen auch noch zu Ölen und Kräuterlikören weiter. Mehrmals wurden wir zum Kosten der letzteren animiert, schließlich deckten wir uns mit einem ganzen Vorrat ein.
Ohnehin leben die Floristinnen ebenso wie auch die Filzfabrik-Frauen vom Direktverkauf. Insbesondere die Filzprodukte – das reicht vom Pantoffel über Oberröcke und wunderschöne Damenhüte bis zum Wandteppich – würden über den Zwischenhandel zu teuer. Die Manufaktur wurde 1992 mit einem „internationalen Filzsymposium“ eröffnet, an dem Filzkünstler „aus Schweden, Norwegen, England, Italien, Dänemark, USA, Kanada und Deutschland“ teilnahmen. Und auch heute noch sind dort „der Phantasie der Frauen keine Grenzen gesetzt“, wie uns die Leiterin erklärte. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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