■ Normalzeit: Männer und Eisenbahnen...
Der SPD-Euro-Theoretiker meint zur Deregulierung: „Mit der raffinierten Produktionstechnik in Europa werden zumeist ziemlich simple Verbrauchsgüter und Dienstleistungen für simple Bedürfnisse erzeugt. Diese orientieren sich in hohem Maße an unbedarften Konsumenten, die mit ihrem Konsum nicht zugleich etwas ,leisten‘, sich entwickeln wollen – wie es dem kapitalistischen Fortschrittsethos entspricht... Sie orientieren sich vor allem an den Konsumenten der Juvenilkultur, die besonders viel Energie und Raum verbraucht, weil sie dauernd in Bewegung sein muß, sie stellt aber nur geringe Ansprüche an höhere Güterqualitäten.“ (Claus Koch).
Machen wir die Probe aufs Exempel: auf der „InnoTrans 96“. Ein gasbetriebener „Shuttlebus“ der BVG bringt uns zum Güterbahnhof Wilmersdorf. Wow! Da steht die neue Transport-Generation: der „Regiosprinter“ (aus dem Ruhrgebiet), der „Eurosprinter“ (von Krauss-Maffei), der „EuroRail“ und der „Talent“-Triebwagen (von Bombardier), der „Cargo-Sprinter“ neben dem „Cargo-Kipper“ (der DB) und auch der neue „U-Bahn Triebzug“, die „Diesel-Lok“ und der „Regio-Shuttle“ von ADtranz – alle außen wie innen in den juvenilen Modefarben der Saison: Quietschrot, Techno- orange, Türkis und Tiefblau. Das Siemens-Türkis dominiert, selbst bei den ostdeutschen Waggonbauern (DWA) und ihren ohne Auftrag hergestellten drei Modellen: einen Schiebewand-Waggon, einen leichten Verbrennungs-Triebwagen und den neuen Sputnik (der nicht mehr so heißt). In der Container-Lounge von ABB-Daimler-Benz-Transportation (ADtranz) erstreckt sich der Türkiswahn sogar bis in die Auslegeware, die Werbesticker und die kostenlosen Cocktails. Und da sitzen sie dann alle und verputzen Canapés, während draußen die „Lokspäher“ („Train-Spotter“) wie blöd Triebtechnik filmen: die ICE-Seniors und die Transrapid-Boys. Erstere mit Schnurrbart, Zweireiher und Kragenknöpfen, letztere mit Batikschlipsen, anthrazitfarbenen Anzügen und kurzen Haaren.
„Die Blockade gegenüber dem TR kommt hauptsächlich aus den ICE-Kreisen“, sagen sie, und behaupten: „Der TR kommt in zwei Minuten auf 300 Kaem, der ICE braucht dafür mindestens acht Minuten, und bei Steigungen über 2% bleibt er stehen.“ Die Seniors, „seit sieben Jahren beim ICE dabei“, lächeln dazu, aber es fällt ihnen mit jedem türkisen Cocktail schwerer. Ein blondes Milchgesicht, das sich gerade „eine Immobilie bei Potsdam zugelegt“ hat, setzt noch einen drauf: „Ich bau jetzt am Transrapid. Die Zeiten sind vorbei, wo einer 40 Jahre die gleiche Arbeit gemacht hat, früher habe ich Papiermaschinen konstruiert.“ Dann wendet sich das Gespräch wieder den Immobilienpreisen zu und schließlich kommt man auf „die Japaner“ zu sprechen, von denen einige draußen am Photographieren sind.
Später – im Bus-Shuttle zurück – kommt auch noch ein Gespräch mit einem minolfarben gekleideten Betriebsrat der Knorr- Bremse zustande, dessen Firma mit einem eigenen Stand auf der Messe vertreten ist: Er hat mit seiner Videokamera Industriespionage betrieben – sich also bei der Konkurrenz umgeschaut: „Um wieder ein bißchen auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. Die Konkurrenz schläft nämlich nicht. Unsere Chefs kommen sich mit ihren 1,2 Milliarden Umsatz zwar wie die größten vor, aber wenn ich sehe, daß Talbot z.B. 20 Milliarden macht, dann weiß ich doch, daß wir ziemlich kleine Fische sind, auch wenn die Knorr-Bremse 8.000 Mitarbeiter inzwischen hat und demnächst das neue Werk in Ungarn anfährt.“
P.S.: Am besten gefiel mir das gelbe Gleis-Unkrautvernichtungsungetüm mit drei Ansaugstutzen an der Seite, das auch die Japaner immer wieder gerne knipsten. Von ihnen sprach man übrigens auf der „InnoTrans“ stets voller Hochachtung – wegen ihrer Fähigkeit zur Beschleunigung auf 320 Kaem in drei Minuten, und das zu Spitzenzeiten alle paar Minuten. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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