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■ NormalzeitDie Pritzwalker ABM-„Viererbande“

Das sind Günter Schinske, Gabi Schult, Uschi Preuß und Sylvano Schmidt, Max genannt. Günter, Gabi und Max arbeiteten bis zur Wende als Melker in einer LPG, Uschi war zuletzt Verkäuferin. Recht eigentlich bilden sie das Scharnier zwischen dem Untergrund und der Oberfläche von Pritzwalk. Die vier lernten sich über ABM kennen. Genaugenommen handelte es sich jedoch um eine den ABM vorgeschaltete „Integrationsmaßnahme“ (IM), über die die „immer schwieriger werdenden Langzeitarbeitslosen“ als Kollektiv erst einmal quasi ABM-reif geschult werden sollten. Das Arbeitsamts-Curriculum sah die Einübung von Bewerbungsschreiben, Ausfüllen von Steuererklärungen sowie die Vermittlung rudimentärer Englisch- und Schreibkenntnisse vor. Die drei Westberliner (Kunst-)Dozenten setzten jedoch primär auf „Hilfe zur Selbsthilfe“ und organisierten mit der IM- Gruppe z.B. bei einem Teilnehmer eine Brennholzhack-Aktion, bei einer anderen die Bepflanzung ihres Vorgartens... Max fuhr einen Wartburg, morgens holte er erst Uschi, dann Günter und Gabi zum Kursus ab: Die beiden wohnten außerhalb von Pritzwalk, und die Integrationsmaßnahme fand im Sozialgebäude der ehemaligen Zahnradfabrik statt, das eine DGB-nahe Qualifizierungsgesellschaft als eine Art General- Ausbildungsübernehmer der Region gemietet hatte. Es gab dort sogar zwei Kantinen – auf ABM- Basis. Und oben in den ehemals VEB-eigenen Fitnessräumen eine Kegelbahn, die von der IM- Gruppe gerne aufgesucht wurde. Auch während ihres Praktikums sorgte Max mit seinem Wartburg für den Transport der Viererbande: Uschi und Max arbeiteten bei einer Forellenzuchtanlage, die ein ehemaliger Mitarbeiter von der Treuhand auf Pachtbasis privatisiert hatte. Gabi arbeitete in den Gewächshäusern eines Gärtnerehepaares, und Günter verdingte sich auf der Kiesgrube eines Fuhrunternehmers aus seinem Dorf. Er half ihm, eine in Berlin billig erworbene Schnellbauhalle auf seinem Schuttplatz zu errichten. Günter hoffte, dort eine Festanstellung zu finden, sein Chef bot ihm auch die Übernahme der Kosten für einen LKW-Führerschein an, aber das kollidierte dann mit Günters Arbeitslosenstatus und zerschlug sich so. Max suchte sich im Westen Arbeit: Erst als Reisevertreter für ein Münchner Unternehmen („Zum Überreden bin ich aber nicht geeignet“), dann am Fließband einer Bremer Molkerei (hier stellte sich das Problem, eine zweiten Wohnung anmieten zu müssen, was in der „Probezeit“ ein finanzielles Risiko war). Gabi und Uschi wurden von ihren Chefs, denen sie sich als Praktikanten angedient hatten, nicht übernommen. Dafür versprach das Arbeitsamt dem gesamten IM-Kursus einen Übergang in reguläre AB-Maßnahmen. Nachdem man ihre Westdozenten rausgeschmissen hatte (weil sie sich nicht eng genug an die Kurs- Curricula hielten), betreute eine ortsansässige Computerfirma die IM-Gruppe weiter. Günter und Max näherten sich unter der Leitung ihrer neuen „Klassenlehrerin“ dem High-Tech-Gerät primär über das Karten-Patience- Programm. Uschi wurde Klassensprecherin. Als solche war sie u.a. für das Alkoholtestgerät verantwortlich, mit dessen Hilfe allzu betrunkene Kursusteilnehmer festgestellt und dann von der Teilnahme ausgeschlossen werden sollten. Kurz vor dem mit einem schriftlichen „Zertifikat“ endenden Kurs teilte die Klassenlehrerin ihnen mit, daß es keine „Auffang-ABM“ gäbe. Max bereitete daraufhin nach Ablauf einer Anstandsarbeitslosigkeitsphase seinen Umzug nach Bremen vor, Uschi, die Alleinerziehende ist, bekam ein schweres Hüftleiden und mußte fürderhin an Krücken gehen, Gabi gab „die Hoffnung“ nicht auf, und Günter meinte immer mal wieder: „Ich hab' keene Zukunft mehr.“ So fiel langsam die „Viererbande“ auseinander, aber anläßlich einer „NGBK-Ausstellung über ABM“ – von einem ihrer Westberlin-Dozenten, Peter Funken, organisiert – wird man demnächst einen Videofilm sehen können: über ihr 13monatiges Bemühen, von der „Marktwirtschaft“ angenommen zu werden. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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