■ Normalzeit: Der Kunstwandel im Handel
Während die einen ihre Galerien aufgegeben haben, Petersen und Wewerka zum Beispiel, versuchen es die anderen noch einmal neu, aber anders: Manfred Giesler, der vor einiger Zeit sein Galerie-Café Mora in der Großbeerenstraße schließen mußte, hat jetzt zusammen mit dem Galeristen Georg Nothelfer einen gemeinsamen Kunsthandel im Kempinski Plaza.
Dieses neue Erlebniseinkaufscenter ist bis jetzt zwar noch nicht richtig „eingelaufen“, aber die Läden sind immerhin schon alle vermietet: Computerspiele, Commerzbank, Edelmöbel („Die Welt des Gunter Lambert“), ein Golf-House, die Jagdbekleidungskette Frankonia, der Friseur Udo Walz, Laurèl-Moden und Good Friends mit Fischküche im Gartenpavillon zwischen Plaza und Hotel Kempinski.
Manfred Giesler meint: „Die wenigen Leute, die hierherkommen, haben dafür mehr Geld. In der Uhlandstraße kann man unbesorgt seinen Jaguar parken, im Gegensatz zur Großbeerenstraße, wo sie Nothelfers Maler Stöhrer mal den Jaguar abgefackelt haben.“
Trotz der neuen Laufkundschaft sind ihm aber „die alten Künstler geblieben – Achim Freyer, Joachim Peek und jetzt gerade Thomas Hornemann, zu dessen Ausstellung auch ein Buch – ,Brillo-Pulp-Box‘ – erschien. Daneben machen wir aber jetzt auch noch Ausstellungen mit jungen Malern: mit HdK-Studenten.“
Das Mora war in den achtziger Jahren vornehmlich eine DDR- Dissidentenkneipe, in der u.a. Heiner Müller gelegentlich las (aus Schriften von De Sade beispielsweise). Manfred Giesler arbeitete zunächst als Dramaturgie- Azubi. In Bochum lernte er 1982 Heiner Müller kennen, mit dem er später Ernst Jünger besuchte. Im Mora wurde einmal jährlich der „Blaise Cendrars“-Literaturpreis vergeben. Daraus entstanden Beziehungen, zur Arno Schmidt-Stiftung, zu Jan Philipp Reemtsma, Norbert Tefelski, Michael Rutschky und F.W. Bernstein beispielsweise. Auch diese Reihung wird jetzt anderswo von Giesler fortgesetzt – in der Ruine des Charité-Anatomiehörsaals von Rudolf Virchow – und nennt sich „Auftakt 1997“.
Heuer kamen dort aber auch Texte von Kenzaburo Oe und Franz Kafka zur Sprache. Im Gegensatz zu vielen Ostberliner Intellektuellen hat Giesler keine „Kneipenambitionen“ mehr: „Davon habe ich die Schnauze voll!“
In der Westberliner Kunstliga versuchen auch andere, sich umzupositionieren: Michael Wewerka veranstaltete eine Weile lang Ausstellungen in seinem neuen Haus in Pankow und wechselte von der FDP zur SPD. Sein Azubi Michael Schulz hat neben der Mommsenstraßen-Galerie noch – wie Wewerka – ein „spanisches Spielbein“ und sitzt außerdem im Vorsitz eines der 13 Golfclubs, die es in und um Berlin inzwischen gibt. Auf einem anderen Golfplatz (bei Potsdam) veranstaltete Tatjana von der Galerie Wallstraße unlängst eine Bildhauerausstellung, sie lebt und arbeitet jetzt mit einem amerikanischen Videokünstler zusammen. Umgekehrt zog sich in der Mommsenstraßen-Galerie von Frank und Schulte, die sich auf „europäische Avantgarde“ und „Konzeptuelles“ spezialisiert hatte, der amerikanische Teilhaber inzwischen wieder zurück. Insgesamt bekommt man den paradoxen Eindruck, daß durch die Auflösung der DDR die Westberliner Kunstszene mehr durcheinandergebracht wurde als die Ostberliner. Eine Gesamtberliner Kunstbestandsaufnahme kam jedoch im Auftrag des Kultursenators vor einiger Zeit zu dem Schluß, daß man getrost beide vergessen könne: Die neuen Herausforderungen der Stadt würden jedoch früher oder später quasi von selbst eine neue Kunst hervorbringen. Giesler scheint sie mit seinen Ausstellungen von HdK-Studenten bereits anvisiert zu haben.
Helmut Höge
wird fortgesetzt
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