Norddeutsche AKWs im Portrait (1): Der Ruhestörer

Das Atomkraftwerk Brunsbüttel hat in seiner 23-jährigen Geschichte auch von sich reden gemacht, wenn es stillstand. Das mag daran liegen, dass ihm neben äußerlicher Attraktivität auch die innere Schönheit fehlt. Hat das AKW Brunsbüttel wirklich gar keine positiven Eigenschaften?

Liegt in der Landschaft wie ein umgefallenes "L" mit Schwarzschimmel-Befall: Das AKW Brunsbüttel im April 2010. Bild: KLAUS IRLER

Am 24. April wollen Atomkraftgegner eine Menschenkette von Brunsbüttel bis nach Krümmel bilden. Die taz hat im Vorfeld die Atomkraftwerke an der Elbe besucht - und stellt sie in einer dreiteiligen Serie vor.

Im Februar 1977 erkennt die Regierung der UdSSR erstmals die Europäische Gemeinschaft (EG) als Verhandlungspartner an. Jimmy Carter nimmt seine Arbeit als neuer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika auf. Im Radio läuft "Money Money Money" von Abba und "Hotel California" von den Eagles. Und im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel geht ein Atomkraftwerk in Betrieb. Es ist damals der vierzehnte Atomreaktor in Deutschland. Ein Siedewasserreaktor von mittlerer Leistungskraft.

Das Atomkraftwerk Brunsbüttel ist heute eines der ältesten in Deutschland. Es hat Sicherheitschefs kommen und gehen sehen. Es hat den GAU in Tschernobyl erlebt und den Beinahe-GAU in Forsmark, kennt Schnellabschaltungen, jahrelange Phasen der Ruhe, Revisionen und Wieder-Inbetriebnahmen. Am 24. April werden einmal mehr Demonstranten fordern, das AKW sofort abzuschalten. Was ginge damit verloren? Zunächst ein Haufen Technik, über den sich die Experten streiten. Aber das AKW Brunsbüttel ist mehr als seine Technik. Es ist eine Einrichtung, die nicht nur mit Strahlung zu tun hat, sondern auch mit Ausstrahlung.

Das Atomkraftwerk Brunsbüttel gehört Vattenfall (zwei Drittel) und Eon (ein Drittel).

Der Siedewasserreaktor ist einer der störanfälligsten der Bundesrepublik.

Die Nettoleistung beträgt 771 Megawatt.

Das Atomkraftwerk Brunsbüttel liegt in der Landschaft wie ein umgefallenes "L". Umgefallen ist das "L" dem ersten Eindruck nach durch einen Schuss in den Rücken. Warum man auf so finstere Gedanken kommt beim Anblick des Atomkraftwerks Brunsbüttel? Weil seine Wellblechverkleidung in schwarzbraun gehalten ist. Andere Atomkraftwerke sind weiß oder beige. Brunsbüttel aber ist schwarzbraun wie der Schimmel in einer vergessenen Packung Frischkäse. Im ewigen Buhlen der Atomkraftwerke um Sympathie ist das ein Nachteil.

Es gibt noch eine zweite Äußerlichkeit, die das AKW Brunsbüttel so besonders macht. Steht man am Deich und senkt den Blick vom schwarzbraunen Wellblech nach unten, dann fällt der Blick auf einen vergleichsweise niedrigen Stacheldraht-Zaun. Kein Graben, kein breiter Todesstreifen, keine patrouillierenden Wachmannschaften schotten das Kraftwerk ab.

Das AKW Brunsbüttel ist das hässlichste, aber auch das nahbarste Atomkraftwerk an der Elbe. Man steht auf dem Deich direkt davor. Man könnte es atmen hören, wenn es laufen würde. Aber es läuft nicht: Seit Juli 2007 steht das Atomkraftwerk still. Wenn es überhaupt noch mal in Betrieb genommen wird, dann voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahr.

Abgeschaltet wurde das AKW Brunsbüttel 2007, nachdem im Sicherheitssystem fehlerhafte Verankerungen festgestellt worden waren. Die Bohrlöcher, in denen das Nach- und Notkühlsystem befestigt war, waren zu groß. Dazu kam eine Reihe weiterer Unregelmäßigkeiten.

Das AKW Brunsbüttel stand wieder einmal schlecht da in der Presse. Der Betreiber Vattenfall kündigte seinem Atom-Sparten-Leiter, seinem Konzernsprecher und dem Chef von Vattenfall Europe. Gleichzeitig versuchte Vattenfall, eine Erlaubnis dafür zu bekommen, die Reststrommengen anderer Meiler auf Brunsbüttel zu übertragen. Vattenfall wollte, dass das AKW Brunsbüttel noch länger in Betrieb bleibt, als es das Atomausstiegsgesetz von 2002 vorsieht. Der Energiekonzern zog im März 2009 mit seiner Forderung vor Gericht - und verlor.

Für das damalige Bundesumweltministerium war diese Entscheidung ein Erfolg. Denn Ex-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Sicherheitsbedenken: Seit der Inbetriebnahme des AKW Brunsbüttel im Jahr 1977 bis Ende 2006 hatte das Bundesamt für Strahlenschutz 437 meldepflichtige Ereignisse registriert. Das sind so viele wie in keinem anderen deutschen Atomkraftwerk. Brunsbüttel ist äußerlich hässlich - doch auch die innere Schönheit fehlt.

Dementsprechend hat das AKW Brunsbüttel in seiner Geschichte einiges einstecken müssen. "Tschernobyl-Reaktor an der Elbe" nannte es das Darmstädter Öko-Institut, nachdem 1992 über 120 Risse in Rohrleitungen entdeckt worden waren. Die Anwohner nannten es "Der schwarze Block", als der Verdacht aufkam, der Reaktor sei für die Leukämie-Erkrankungen in der Umgebung verantwortlich. Das AKW Brunsbüttel heizte die Debatte um die Atomkraft an, auch wenn es stillstand: Zwischen 1992 und 1995 hatte die Aufsichtsbehörde aufgrund der Risse in den Rohren eine Zwangspause verordnet. Ebenso zwischen Februar 2002 und März 2003 nach einer Explosion einer Rohrleitung im Sicherheitsbehälter.

Heute, wo abermals Stillstand herrscht, kann man vor dem schwarzbraunen Kraftwerksgebäude kleine Wohncontainer sehen, die den vielen Arbeitern in den Blaumännern gehören. Gelegentlich hört man ein Hämmern, Metall auf Metall, ganz schlicht. Es könnte daher kommen, dass beanstandete Dübel ausgetauscht werden.

Um das Atomkraftwerk herum stehen Windräder. Die Windräder stehen da in strahlendem Weiß. Es sind nicht viele und sie drehen sich nicht. Aber sie kommen von allen Seiten.

Anfang März zog Vattenfall seinen erneuten Antrag auf Übertragung von Stromproduktionsrechten auf das AKW Brunsbüttel zurück. Aber Vattenfall lässt sein Kraftwerk deswegen nicht fallen. Der Konzern hofft darauf, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten verlängert.

Und was macht das AKW? Es bringt sich weiter ins Gespräch. Zuletzt am 25. März: Da brannte es an einem Transformator, der die Anlage mit Strom versorgt. Das Feuer sei unter Aufsicht der Werksfeuerwehr kontrolliert abgebrannt, hieß es.

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