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Nominierte 2020

Nominierte 2020: KlimaEntscheid Darmstadt Der Magistrat unter Druck

Darmstädter:innen wollen ihre Stadt bis 2030 klimaneutral machen. Doch die Stadt schiebt Formalia vor - noch

Das Team vom Klimaentscheid Darmstadt ist für den taz Panter Preis nominiert Bild: taz

von Leonie Sontheimer

Ein Lastenrad voller Aktenordner – damit fuhr die Initiative KlimaEntscheid Darmstadt am 2. Dezember 2019 vor das Rathaus. 5.405 Darmstädter:innen hatten auf den Listen unterschrieben, die in den Ordnern zusammengeheftet waren. Alle diese Unterschriften standen für eine Forderung: Darmstadt möge bis 2030 klimaneutral werden.

Die Idee zum Klimaentscheid hatten zwei Mitglieder von Fridays for Future Darmstadt schon im Frühjahr 2019. Luisa Emrich und Björn Schulz waren unzufrieden damit, dass nach monatelangem Protest auf der Straße immer noch keine Beschlüsse auf politischer Ebene vorlagen. Ihre Idee: Lokale Klimaschutzmaßnahmen erarbeiten und mithilfe eines Bürgerentscheids durch die Politik bringen. Sie suchten sich Verbündete bei den lokalen Parents- und Scientists for Future und erarbeiteten gemeinsam mit Expert:innen 11 konkrete Vorschläge für wirksame Maß-nahmen, die die Stadt umsetzen sollte, um die Ziele des Pariser Klimaschutz-abkommens zu erreichen.

Zu den Zielen gehören beispielsweise die Umwandlung von Parkplätzen in Geh- und Radwege, die Einführung eines „Klimatickets“, mit dem neu Zugezogene drei Monate lang umsonst den öffentlichen Nahverkehr nutzen können und Fotovoltaik oder Solarthermie auf allen Neubauten ab 2022. „Das übergeordnete Ziel ist, dass im Stadtgebiet Darmstadt ab 2030 die Treibhausgasemissionen bei null liegen. Natürlich ist da jeder einzelne gefragt, mitzumachen. Aber wenn die Stadt nichts macht, wird es nichts“, erklärt Heike Böhler. Sie promoviert an der TU Darmstadt zu Klimapolitik und hat den Klimaentscheid mitinitiiert. Wie alle anderen im etwa 15-köpfigen Kernteam engagiert sich Böhler rein ehrenamtlich.

Doch es habe noch viele weitere Unterstützer:innen gebraucht, um die über 5.000 Unterschriften zusammen-zubekommen, sagt Böhler. Die Listen lagen in Geschäften und Cafés aus und viele Einzelpersonen hätten fleißig in ihrem Umfeld gesammelt. „Darmstadt hat 160.000 Einwohner. 10.000 davon waren letzten September beim globalen Klimastreiktag auf der Straße. Den Darmstädtern ist das Klima wichtig!

Grün-Schwarz lehnt ab

Damit sich die Stadt mit einem Antrag auf einen Bürgerentscheid beschäftigt, muss eine gewisse Anzahl an Bürger:innen für dieses Bürgerbegehren unterschreiben. Im Fall des Klimaentscheides war diese Marke deutlich übererfüllt. Trotzdem hat der Magistrat der seit 2011 grün-schwarz regierten Stadt Darmstadt Anfang September 2020 das Begehren aus formalen Gründen für unzulässig erklärt. Knackpunkt sei der unzureichende Kostendeckungsvorschlag, also eine Schätzung der Initiative, wie teuer es wäre, die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen. Böhler und die anderen aus dem Team sind enttäuscht: „Wir als Bürger:innen wissen, was wir wollen. Aber wir haben nicht die Expertise und auch nicht ausreichend Einblick in die städtischen Finanzen, um das im Detail durchzurechnen.“

Die Stadt hat trotzdem zugesagt, einige der Forderungen umzusetzen. So zum Beispiel das Klimaticket für Zugezogene und mindestens 300 Quadratmeter neue Grünflächen pro Jahr durch Fassadenbegrünung. Für Böhler ist es bereits ein Teilerfolg, dass die Stadtverwaltung im Rahmen der Prüfung bereits alle Maßnahmen durchdenken musste. Gleichzeitig bemängelt sie, dass die Stadt für die Umsetzung bisher kein Budget und kein Personal bereitgestellt habe.

Der Initiative Klimaentscheid Darmstadt ist es wichtig, dass ihre Stadt schnellstmöglich handelt. Sie gibt nach dem formalen Scheitern des Bürgerbegehrens nicht auf und will hartnäckig bleiben, bis die Stadt die versprochenen Maßnahmen umgesetzt hat. Und sie gehen noch einen Schritt weiter: Zwei Mitglieder der Initiative werden bei der Kommunalwahl 2021 für die derzeit regierenden Grünen für das Stadtparlament kandidieren. Heike Böhler ist eine von ihnen. „Wenn es klappt, können wir danach von zwei Seiten Druck für Klimaschutz machen: von innen und von außen.“