piwik no script img

Nils Schuhmacher Hamburger SoundtrackLektionen in Sachen Spucke

Es gibt eine hübsche Szene vom Fusion-Festival 2014, die mindestens zwei Lektionen enthält und die sich alle Pop-Fans und -Bands merken sollten, wenn sie auch morgen noch mit Lust an sich selbst in den Spiegel schauen wollen. Beim Auftritt der US-Band Chain & the Gang (7. 2., 20 Uhr, Hafenklang) begab es sich, dass einer der Zuschauer unablässig den Namen der legendären Bassistin der lange verschiedenen Band The Make up rief, um auf diese Weise deren Präsenz einzufordern. Es war nämlich nicht Michelle Mae, die dort neben Ian Svenonius (dem ehemaligen Sänger der Gruppe) den Bass bediente, sondern eine andere Frau. Und sie tat das, was man eigentlich niemals tut: Sie spuckte ihn an.

Robert Smith sagte einmal mit Blick auf seine in Punkkreisen gestartete Band The Cure, es sei eine der ekligsten Erfahrungen seines Musikerlebens gewesen, bei Konzerten massenhaft angespuckt zu werden. Was er übersah: In dieser Welt ist das „Gobbing“ eine durch und durch ambivalente Geste. Mag sein, dass die Punks Anfang der 1980er-Jahre Smiths Jammerstimme nicht ertragen konnten. Mag sein, dass er sie so berührte, dass es aus ihnen hinausfließen musste.

Hier ist der Fall aber vergleichsweise klar. Jede und jeder wird wohl Verständnis dafür haben, dass in dieser Rock-Männerwelt keine Frau Lust darauf hat, von Männern in aller Öffentlichkeit in ein Konkurrenzverhältnis mit einer anderen Frau gesetzt zu werden (1. Lektion). Man kann also annehmen: Im Anspucken gab es keinen Subtext à la „Ich mag dich“, vor allem aber weiß man: Das Vorgehen war erfolgreich, der Mann ward auf diesem Konzert nicht mehr gesehen.

Und Ian Svenonius? Den Sänger der oben genannten Soul/Garage-Band kennt man nicht nur als Akteur in einer Reihe von anderen Bands, die uns zum D.C. Punk der ausgehenden 1980er in Form der wütenden, überschäumenden und bereits Sexyness antäuschenden Nation of Ulysses führen. Er läuft uns auch als kluger – und mal politisch nicht vollkommen ahnungsloser – literarischer „Obstkistenprediger“ (taz) und Scharlatan über den Weg.

Wer jetzt den Kontakt mit Körperflüssigkeiten meiden und das Ganze lieber theoretisch betrachten möchte, kann sich also mit Svenonius’ Buch „22 Strategien für die erfolgreiche Gründung einer Rockband“ helfen. Der Rest schaut sich die, Achtung: wieder mal stark umgruppierte, Vertonung der Sache an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen