INTERVIEW: „Niemand soll glauben, er könne darüber hinweggehen“
■ Die Ignoranz der Kohl-Regierung gegenüber ihrem Amt brachte Lieslotte Funcke dazu zurückzutreten
taz: Frau Funcke über das mangelnde Interesse der Bunderegierung und der Koalitionspolitiker an Ihrer Arbeit beklagen Sie sich schon seit langem.
Was war der konkrete Auslöser für Ihren Rücktritt?
Funcke: Vor einigen Monaten habe ich meinen Bericht vorgelegt in dem ich auf die Mißstände in der Ausländerpolitik aufmerksam gemacht habe.
Danach sagte mir der Bundeskanzler ein Gespräch über die wirklich gravierenden und dramatisch sich verschärfenden Probleme der Ausländer in Deutschland zu: Und zwar für Mai oder Juni!
Der Mai verging, und auch der Juni vergeht, und bei mir hat sich — auch auf meine Aufforderungen hin — weder der Bundeskanzler noch irgend jemand aus seiner Umgebung gemeldet.
Es herrscht absolute Funkstille. Ich konnte wieder nicht mit Helmut Kohl sprechen, sondern mußte ihm wieder mal meine Anliegen schriftlich darlegen.
Auch wenn ich nach zehn Jahren Tätigkeit sowieso daüber nachgedacht habe, ob und wann ich ausscheide, so muß ich doch sagen: Dieses Schweigen war der endgültige Auslöser für meine Ankündigung zurückzutreten.
In ihrem Brief an Helmut Kohl äußern Sie die Hoffnung, daß ihr Schritt die Bundesregierung dazu bringen wird, ihre Ausländerpolitik zu überdenken.
Glauben Sie wirklich an eine solche heilsame Schock-Wirkung ihrer Entscheidung?
Ich hoffe darauf. Zumindest muß ja jetzt die Frage gestellt werden, was mit meinem Amt geschieht. Ich hoffe, niemand glaubt, er könne so einfach über die Sache hinweggehen. Zumal, wenn er vor der Entwicklung in den fünf neuen deutschen Bundesländern nicht ganz die Augen verschließt: Vor den Anfeindungen gegenüber Ausländern, vor den Ängsten der Deutschen...
Ich hoffe, alle hören die Warnsignale.
Geht Frau Funcke den Ausländern hier verloren?
Nein. Ich werde versuchen, meine Einsichten und Erfahrungen auch weiter in die Ausländerpolitk miteinzubringen — wie auch immer. Das sage ich fest zu. Ferdos Forudastan
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