Niedersachsens CDU auf Kulturtrip: Das Prinzip Mindestgage
Niedersachsens CDU ist stolz, dass die Kultur bei der letzten Sparrunde verschont wurde - und verkennt, wie prekär die Lage dennoch ist. Das zeigte eine CDU-Veranstaltung mit Vortrag und Tanz im Oldenburgischen Staatstheater.
HANNOVER taz | Kultur ist Ländersache. Eifersüchtig wachen die Landespolitiker darüber, dass der Bund nicht in ihrem Feld wildert. Gleichwohl spielt Kultur die Rolle des Stiefkinds: Sie hat, im Vergleich zu anderen Ressorts, nur ein geringes Budget. Ehrgeizige Politiker suchen dickere Portefeuilles oder sehen eine Position als Kulturminister lediglich als Sprungbrett oder als letzte Station vor dem Ruhestand. Das Ergebnis ist schauerlich: siehe Hamburg. Zusammen mit anderen Kulturinstitutionen sollte das Deutsche Schauspielhaus vergangenen Herbst Subventionen einbüßen. Inhaltliche Debatte? Fehlanzeige!
In Lübeck wird das Theater unter Schmerzensschreien des Generalmusikdirektors todgespart, Bremen bedenkt den designierten Generalintendanten mit Auflagen, die das Theater, das einst bundesweit ausstrahlte, weiter marginalisieren dürften - da ist es schon ein Silberstreif an Norddeutschlands finsterem Kulturhorizont, wenn wenigstens in Niedersachsen keine weiteren Einsparungen drohen. Ein Erfolg, den Kultur- und Wissenschaftsministerin Johanna Wanka stolz vermerkt. Sie gehört der CDU an.
Die Union beschäftigt sich in diesem Jahr in Niedersachsen gar schwerpunktmäßig mit der Kultur - das jedenfalls sagt der Fraktionsvorsitzende Björn Thümler. Die Grünen spotten: im letzten Jahr sei es die Landwirtschaft gewesen.
Kürzlich tagten die Unions-Abgeordneten im Sprengelmuseum in Hannover. Außerdem wollen sie in Cloppenburg das Museumsdorf besuchen und kündigten eine "Goslarer Erklärung zur Kulturpolitik" an. Am Montagabend lud die CDU zu einer Veranstaltung in die Oldenburger Exerzierhalle, einer Nebenspielstätte des Staatstheaters Oldenburg.
Fraktionschef Björn Thümler verknüpfte das Schwerpunktthema Kultur mit den Begriffen "Tradition, Innovation und Identität in Niedersachsen". Dann nahm Markus Müller das Wort, Oldenburgs Generalintendant. Als Thema hatte er mit der CDU "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?" abgestimmt. Müller wollte über die Unabhängigkeit des Theaters sprechen.
In unseren Zeiten sei der Druck, die Subventionen der öffentlichen Hand für das Theater zu legitimieren, angestiegen. Der Theaterleiter nannte als überzeugendsten Grund, warum Bühnen mit Steuergeldern unterstützt werden sollten: Das Theater biete ein retardierendes Moment, es gebe die Möglichkeit, die Zeit anzuhalten, innezuhalten, nachzudenken im Fluss der Zeit - also auch tiefer schürfen zu können. "Das Theater muss die richtigen Fragen zur falschen Zeit stellen können dürfen", zitierte Müller den Theaterkritiker Peter Iden.
Der Intendant hatte sein Rednerpult in der Exerzierhalle aufgeschlagen, in der abends "Prinz Friedrich von Homburg" gespielt wurde. Heinrich von Kleist sah über 30 Figuren vor, in Oldenburg schafften das vier Schauspieler, berichtete Müller, die in mehrere Rollen schlüpften. Zwei dieser vier Schauspieler verdienten die Mindestgage, das seien 1.600 Euro brutto. Einer der Schauspieler stehe, obwohl er eigentlich Anspruch auf Ruhetage habe, schon 27 Tage hintereinander auf der Bühne.
Immer wieder unterbrach Müller seinen Gedankenfluss, um jemandem zu danken: dem Oberbürgermeister und der Stadt, die Hausherren der Exerzierhalle seien, dem Land Niedersachsen wegen seiner Unterstützung, einer Firma, einem Unternehmen, einer Organisation.
Der Vortrag zerfiel in zwei Teile: Die Argumente für das Theater, obwohl es etwas kostet, und der Dank an jene Wohltäter, die es ermöglichen. Mitunter streifte Müller das Devote, trat dann aber auch wieder dafür ein, dass das Theater nicht nur Stücke zu spielen habe, die Abend für Abend ausverkauft seien, sondern auch sperrige, die wegen schlechter Publikumsauslastung die schönste Statistik zerstörten.
Anschließend folgte der künstlerische Teil: das Tanztheater zeigte "Triple Bill", drei kurze Piècen von drei verschiedenen Choreographen. Sie wirkten überwiegend abstrakt, kaum Inhalt. Insofern ähnelten sie der gesamten Veranstaltung. Müller ging jedem Konflikt aus dem Weg und Björn Thümler unterstrich die Eintracht zwischen Politik und Kunst. Die beiden duzten einander.
Und können sie nicht auch zufrieden sein? Müller wurde wegen seiner Akzeptanz in Oldenburg und umzu gelobt, Thümler kann darauf verweisen, dass Kultur eines der wenigen Ressorts in Niedersachsen ist, das nicht sparen muss.
Es ist diese Zufriedenheit, die Ärgernis erregt. Die großen Unternehmen veröffentlichen Bilanzen mit Goldrand, VW vermeldet ein Rekordjahr, Vorstandsmitglieder kassieren ins Atemberaubende gestiegene Bezüge - und die Eingangsgage von Tänzern, die zwölf Jahre Ausbildung hinter sich haben, liegt bei 1.600 Euro. Das Missverhältnis ist obszön.
Nicht nur der Generalintendant müsste angesichts der wunderbar laufenden Konjunktur energisch mehr Geld fordern, auch die Kulturpolitiker dürften sich nicht mit dem Status quo zufrieden geben. Die Theater sind in den letzten Jahren so abgemagert, dass sie nun wieder gesundgefüttert werden sollten - die Subventionen müssen steigen.
Müller hat, wie die meisten Theaterleiter der Republik, in den vergangenen Jahren gespart, wo er konnte. Die Strukturen seien "effizienter" geworden, brüsten sich alle von Markus Müller bis Ulrich Khuon. Neoliberale verbergen hinter dieser Technokratenvokabel Gagen- und Lohndrückerei.
Müller erzählte ganz anschaulich von der Not: bei der letzten Audition wären 400 Aspiranten angereist - teilweise von weit her, obwohl ihnen niemand die Reisekosten ersetzt. Vergeben wurde eine Position im Tanztheater. Eine! So lange die Misere so groß ist, so lange kann man Künstler auch mit Schandgagen abspeisen. Wobei "speisen" in die Irre führt.
Aber vielleicht war das ja die heimliche Absicht Müllers: mit den schlechten Nachrichten, nebenbei eingeflochten, die Politiker zum Handeln zu animieren. Mutmaßlich dürfte das aber schiefgehen. Es ist mal wieder an der Zeit, das Ende der Bescheidenheit auszurufen! Warum sollten Politiker sich ins Zeug legen, wenn die Künstler sich auch mit Brotkrumen zufriedengeben?
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