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Archiv-Artikel

Niedergang der politischen Klasse

betr.: „In der Verflechtungsfalle“

So, jetzt wissen wir, woran es liegt: Deutschland befindet sich im Niedergang, weil Frau Merkel sich nicht zu einem Machtwort aufraffen kann. Kein strategisches Zentrum, keine tatkräftige „Reform“ des „Standortes“, „Systemfehler“, wohin man sieht. Wer sich an „Reformen“ versucht, unterschreibt sein politisches Todesurteil. So herrscht Stillstand allerorten, wo doch mutiges Handeln nottut.

Und wie sieht die Wirklichkeit aus? Seit Jahren wird eine „Reform“-Baustelle nach der anderen eröffnet: hier die Unternehmenssteuern gesenkt, dort die x-te Gesundheitsreform ins Werk gesetzt, nebenbei die Lebensbedingungen weiter Bevölkerungskreise verschlechtert. Hätte der Wähler, immerhin der Souverän, eine weitere Verschärfung dieses Kurses gewünscht, er hätte vor einem Jahr die Möglichkeit gehabt, die Kräfte im Bundestag mit einer Mehrheit auszustatten, die sich zu dieser Art „Reformkurs“ bekennen. Er hätte Frau Merkel in den Stand versetzen können, „durchzuregieren“.

Stattdessen wird nun der Umbau des Staates zu einem börsennotierten Unternehmen mit Hilfe der SPD, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat, fortgesetzt – ein wenig langsamer zwar und mit mehr sozialer Rhetorik verbrämt, als es den Eliten lieb ist, aber über die Richtung kann kein Zweifel bestehen.

Über die Konsequenzen auch nicht: Niedergang? Ja, Niedergang, für die Schichten der Bevölkerung, die von Arbeits- oder Transfereinkommen leben müssen. Aber nicht aufgrund mangelnder Machtworte und undurchdringlicher Strukturen, sondern wegen der Realitätsverweigerung der Verantwortlichen, die um keinen Preis der Welt bereit sind, das Scheitern des neoliberalen Experiments einzugestehen. Niedergang? Ja, Niedergang, der politischen und medialen Klasse, die die Tatsache, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, für ein Symptom des Niedergangs hält. FRANZ WÖSTE, Northeim