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Nicht-Wahl von Fücks ist "wohltuend" -betr.: "Eitle Palastrevolution. Offener Brief von Thomas Krämer Badoni", taz v. 20.6.1995

Betr.: „Eitle Palastrevolution. Offener Brief von Thomas Krämer Badoni“, taz v. 20.6.

Lieber Thomas Krämer-Badoni, schon die bisherigen LeserInnenbriefe zu Ralf Fücks' Nichtwahl in den Fraktionsvorstand haben uns verwundert. Dein „Offener Brief“ umso mehr. Du unterstellst, „persönliches Geltungsbedürfnis und innerparteiliches Machtgehabe“ habe den Ausschlag gegeben. Wir sind vielmehr der Meinung, daß es vertretbare Gründe gibt, Ralf Fücks nicht in den Fraktionsvorstand bzw. zu deren Sprecher zu wählen. Du selber schreibst, daß die WählerInnen von Bündnis 90/Die Grünen erwarten, daß bestimmte Mechanismen, die an den anderen Parteien zurecht kritisiert werden, nicht greifen. Du hast einen genannt, aber es gibt noch weitere, die dahinter nicht zurückstehen!

Die Grünen sind mit einem anderen Verständnis von innerparteilicher Demokratie angetreten, in dem Informationskartelle und Oligarchisierungstendenzen keinen Raum finden sollten. Die Grünen haben sich auch gegen das, was als „BerufspolitikerIn“ bezeichnet wird, gewandt. In diesem letzten Punkt mußten sie der Realität, daß Politik auch über Personen und über persönliche, längerfristige Kontakte läuft, Tribut zollen, was nicht bedeutet, daß per se an Personen in bestimmten Funktionen festgehalten werden muß. Bündnis 90/Die Grünen sind in dieser Hinsicht eine verdammt normale Partei geworden; auch im Bremer Landesverband gibt es Hierarchien und die Tendenz, immer erneut die Personen in Funtkionen zu wählen, die bereits profiliert sind.

In diesem Sinn ist die Nichtwahl von Ralf Fücks eine wohltuende Ausnahme, denn ein gewisser „Fischer-Effekt“ ist in seinem Fall nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Ralf Fücks hat sich als Person mit fachlicher Detailkenntnis, als jemand, der begriffen hat, wie institutionalisierte Politik funktioniert, bewiesen. Seine Form der Umweltpolitik, die sich als ökologische Reformierung der sozialen Marktwirtschaft beschreiben läßt, ist im tiefsten Sinn des Wortes realpolitisch: immer auf das Machbare gerichtet.

Damit hat sie sich aber auch als arm an Visionen offenbart. Mit solchen Visionen sind Die Grünen einst angetreten; heute sind es wenige – aber es gibt sie noch – die sachte fragen, ob und in welchem Maß es sinnvoll ist, dem kapitalistischen Wirtschaftssystem ein grünes Mäntelchen umzuhängen und ihm damit neue Legitimation zu verschaffen. Ralf Fücks als Umweltsenator hat in seinem Sinn und unter den Rahmenbedingungen der Ampel kompetent Politik gemacht und auch einiges erreicht. Das bedeutet nicht, daß ihm damit quasi automatisch die Funktion des Fraktionssprechers zuwächst. Wir sehen nicht, daß die Fraktion versagt hat. In der Fraktion gibt es außer Ralf Fücks fähige und erfahrene Frauen und Männer, wir sollten nicht so tun, als sei Ralf Fücks das beste, was die Fraktion zu bieten hat. Unabhängig von offiziellen Funktionen hat die Fraktion die Möglichkeit, die Abgeordneten in die parlamentarische Auseinandersetzung um bestimmte Sachgebiete zu schicken, die ihr als die jeweils kompetentesten erscheinen. Der von Ralf Fücks gewünschten Auseinandersetzung mit Scherf und Nölle steht eigentlich nichts im Weg, braucht er dazu auch noch den Nachweis eines Amtes?

Thomas Berger,

Cordula Caspary

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