■ Neuronen produzieren legales Marihuana: „Das beste High des Jahres“
Berlin (taz) – Das menschliche Gehirn produziert eine Substanz, die genauso wirkt wie Marihuana. Diese Entdeckung, so das englische Wissenschaftsmagazin New Scientist (Nr. 1884), hat der Gehirnforschung das „beste High“ seit Jahren beschert. Schon nach der Entdeckung eines einzig auf den Hanf- Wirkstoff THC (Tetra-Hydro-Carbonal) reagierenden Rezeptors im Nervensystem hatten die Forscher vermutet, daß eine Cannabis-ähnliche Chemikalie vom Gehirn selbst produziert wird, jetzt wurde sie gefunden. Von Ralph Mechoulam an der Universität Jerusalem, eben jenem Forscher, der 1964 erstmals den Hanf-Wirkstoff THC isoliert hatte. Das neu entdeckte, körpereigene Marihuana nennt er „Anandamide“, nach „ananda“, dem Sanskritwort für „Gnade“.
„Der Fund bedeutet neue Hoffnung für Therapien aus der langen Liste des überlieferten medizinischen Gebrauchs der Pflanze: als Schmerzkiller, Appetitanreger und Übelkeitsunterdrücker, um nur wenige zu nennen. Darüber hinaus eröffnet er einen neuen Blick auf die mysteriöse Arbeitsweise unserer Gehirne.“ Weiter heißt es im New Scientist: „Die Forschung in Sachen Marihuana, oder Cannabis Sativa, war aufgrund offiziellen Mißbehagens über das Kraut und seinen Gebrauch lange unterdrückt. Es wurde als Droge ohne medizinische Bedeutung eingestuft und sein Gebrauch als Genußmittel überall verfolgt. Aber das war nicht immer so. Über Tausende von Jahren wurde die Pflanze in Indien wegen ihrer Wirkung auf das Bewußtsein geschätzt (...). Auch der Westen benutzte Marihuana: Der Arzt von Queen Victoria verschrieb es gegen die Menstruationsbeschwerden Ihrer Majestät; George Washington und Thomas Jefferson pflanzten es auf ihren Landgütern als Faserpflanze für Textilien und Seile.“
Der Fund eines Cannabis-Rezeptors bedeutet, daß THC, anders als Alkohol, nach einem genauen Modus operandi in spezifische Hirnfunktionen eingreift. Welche genaue Rolle die vom Gehirn produzierten, THC-ähnlichen Stoffe für die verschiedenen Hirntätigkeiten spielt, ist derzeit noch nicht erforscht; die Wirkung von Cannabis deutet die Richtung an: Beeinflussung der Stimmung, des Gedächtnisses und der Schmerzempfindung. „Als was auch immer sich die Anandamide herausstellen werden“, resümiert der New Scientist, „sie liefern den Pharmakologen neue Strategien auf ihrer Jagd nach Cannabis-ähnlichen Arzneien. Solche Drogen könnten wertvoll sein, um die Übelkeit bei der Krebs- Chemotherapie zu unterdrücken; den Appetit von Aids-Patienten anzuregen; Krämpfe bei neurologischen Krankheiten zu mildern; den Augendruck bei Glaucom-Patienten zu senken.“ All dies könne zwar auch das einfache Hanfkraut leisten, aber nur mit einem „kleinen Nebeneffekt: es macht den Rezipienten high. Der Heilige Gral der Cannabinoid-Therapie war es, die Wirkung des High durch chemische Veränderung des THC oder seiner Ableitungen von den anderen Effekten zu trennen. (...) Verschiedene US-Pharmafirmen verbrachten einige Jahre mit dieser Arbeit – ohne Erfolg. Ebenfalls nicht erreicht wurde ein anderes Forschungsziel: einen Antagonisten zu finden, der die Effekte THC im Gehirn blockiert. Solange die Marihuanaforschung in dieser Richtung nicht weiterkommt, ist es unwahrscheinlich, daß die Pharmakonzerne sich sonderlich engagieren werden.“
Dennoch ist die große Bedeutung der Entdeckung unzweifelhaft: „Wir haben es nicht mehr einfach mit der Pharmakologie eines Genußmittels zu tun“, so Roger Perwett von der Universität Aberdeen, „sondern mit der Physiologie eines neu entdeckten Systems im Gehirn.“ Rolf Achteck
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