Neulich im Festsaal : Stromgitarrenmusik
„Aufs Maul! Aufs Maul!“, rufen sie. Dabei bin ich gar nicht bei einem Heimspiel von Dynamo Berlin, sondern im Festsaal Kreuzberg, wo sehr straighte Stromgitarrenmusik läuft und die Samstagabend-Kotti-D’Azur-Laufkundschaft sichtbar verstört. Der sehr junge Mensch mit der schwarz umrandeten Brille, dem Trenchcoat und dem Zeug im Haar hat sein Eintrittsgeld nach zwei Minuten netterweise zurückbekommen.
Die Vorbands habe ich verpasst, aber ich bin ohnehin nur wegen Rotor da. Stoner-Prog-Post-Instrumental-Was-weiß-denn-ich-Rock ohne Dicke-Eier-Attitüde: Keine Texte, keine Ansagen, keine Bewegung, und das Schlagzeug steht nicht irgendwo im Hintergrund, sondern mitten auf der Bühne. Dahinter ein Mann, gefühlte fünfzig Kilo Haare, aber er macht sich die Frontmann-Präsenz mit ungelenken Drumstickspinning-Einlagen wieder kaputt.
Das Bühnenbild: eine Sammlung alter Verstärker. Die Band: Männer mit wenig ergonomischen Körperhaltungen. Der Bassist in klassischer Fragezeichenpose, bei der die Beine vom Fuß bis zum Knie wie angenagelt auf dem Boden kleben und der Körper darüber locker mal in die eine, mal in die andere Richtung schwingt; der Schlagzeuger etwas zu schräg sitzend, weil er das rechte Becken und die Snare gern weit unten hat; der Gitarrist mit permanentem Rundrücken, weil der Körper lang ist, die Gitarre aber ebenfalls tief zu hängen hat.
Irgendwann dann kippt der Schlagzeuger Wasser auf die Snare, das bei jedem Schlag so hochspritzt, als wären wir bei der Blue Man Group. Aber passt ja irgendwie, das sind auch drei stumme Männer. Im Moshpit wird hin und wieder gestagedivet (großer Respekt für den Mann, der es dabei auf die Balustrade im ersten Stock geschafft hat), und „Aufs Maul“ spielen Rotor natürlich auch noch. Nach dem Konzert gehen wir dann alle in die Milchbar. MICHAEL BRAKE