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■ Neues vom Filialleiter von Kohls LeihstimmenvereinKinkels Kampf um die Fax-Hoheit

Brüssel (taz) – Plötzlich hatte die Staatsministerin dienstfrei. Dabei war Kinkels Stellvertreterin, Frau Seiler-Albring, eigens nach Brüssel gereist, um den Außenpolitischen Ausschuß des Europaparlaments über das Neueste aus der Welt der Außenminister im allgemeinen und der Sicherheitspolitik der Europäischen Union im besonderen zu informieren. Aber der Ausschuß hat sie einfach vor die Tür gesetzt. Wir wollen Kinkel, sollen die Abgeordneten skandiert haben, bevor sie mit großer Mehrheit den Rauswurf beschlossen. Was die Staatsministerin mit dem angefangenen Nachmittag gemacht hat, ist leider nicht überliefert.

Der Kinkel ist zur Zeit nicht nur Außenminister und gleichzeitig Filialleiter von Kohls Leihstimmenverein. Er ist vorübergehend auch noch amtierender Ratspräsident der EU. Manchmal ist er morgens in Bonn, mittags in Brüssel und Paris und abends irgendwo über den Wolken auf dem Weg nach Casablanca. So kann er für die Spätnachrichten gleich drei verschiedene Nachrichten unter drei verschiedenen Ortsangaben produzieren. Das schlaucht. Ein Kinkel ist schließlich kein Genscher, der nur unterwegs richtig zu Hause war und es locker auf fünf Meldungen für die Spätnachrichten brachte, die alle ziemlich schwerelos waren, aber von weit auseinander liegenden Erdteilen kamen.

Ein Kinkel dagegen zeigt Konditionsschwächen, weshalb er den Euro-Ausschuß nicht zum erstenmal versetzt hat. Diesmal hatten die Abgeordneten den Kanal voll. Wir fühlen uns mißachtet, jammerten sie und haben die Seiler-Albring mit Mißachtung gestraft – die eigentlich gar nichts dafür kann.

Dabei war Kinkel diesmal wirklich krank. Wie unsere Bonner Informanten glaubhaft bestätigten, war er nicht einmal bei den Koalitionsverhandlungen beim Kohl. Es muß ihm also ziemlich mies gegangen sein, wurde uns versichert. Ungeschickterweise hat er vergessen, das auch seinen Leuten zu sagen. Abends um halb elf knatterten in Brüssel plötzlich die Faxgeräte los. Kinkels Presseprecher ließ verbreiten, bereits Anfang der Woche habe Kinkel den Ausschuß um eine Verschiebung des Termins gebeten. Jetzt rätseln alle, ob Kinkel am Montag – vielleicht unbewußt – tief in seinem Innern den keimenden Virus schon gespürt haben kann.

In jedem Fall wird es nicht leicht sein, die gekränkten Abgeordneten zu besänftigen. Rädelsführer des Brüsseler Rauswurfs war übrigens der Müncher SPD-Euro-Abgeordnete Jannis Sakerllariou. Er war es auch, der die ganze Geschichte am Abend per Fax in Umlauf gebracht hatte. Darin erinnerte der rote Bayer, daß es einen Artikel J.7 gebe, nach dem der Parlamentsausschuß das Recht habe, vom Ratspräsidenten unterrichtet zu werden. Infos aus der zweiten Reihe seien nicht vorgesehen. Deshalb habe das Kinkel nun die volle Härte des Parlaments zu spüren bekommen. „Es bleibt zu hoffen, daß er dies nun begriffen hat!“

Das war einige Stunden bevor Kinkels Sprecher mit seinem Nachtangriff das Terrain in den Fax-Ablagen zurückeroberte. Natürlich wissen auch Europaabgeordnete, daß Staatssekretäre oft besser informiert sind als die Minister. Aber einige im Parlament suchen schon seit längerem nach Gelegenheiten, dem Ministerrat und der übrigen Bevölkerung zu zeigen, was sich die vom Souverän Gewählten so alles trauen. Kurz nach Mitternacht hat dann noch jemand irgend was gefaxt, aber da war kein Papier mehr in der Maschine. Es bleibt zu hoffen, daß beide Seiten begriffen haben, daß sie ihre bescheuerten Faxen nicht auf fremden Fax-Geräten austragen sollen. Alois Berger

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