■ Neues Buch: „Eine Anleitung, die Deutschen zu lieben“: Das Volk der heimlichen Italiener
Roberto Giardina (53) lebt in Berlin und arbeitet als Korrespondent für die italienischen Tageszeitungen Il Resto del Carlino und La Nazione. Seit über zwanzig Jahren versucht der Sizilianer mit Reportagen und Berichten seinen LeserInnen ein Deutschland näherzubringen, das sie so nicht kennen. Jetzt hat Giardina ein Buch geschrieben, in dem er seine Erfahrungen im Land der Richter und Henker zu einem überraschenden Thesenpapier verarbeitet. Der Essay „Guida per amare i tedeschi“ („Eine Anleitung, die Deutschen zu lieben“) wird vom Rusconi- Verlag in italienischer Sprache herausgegeben und erscheint auf der am Mittwoch beginnenden Frankfurter Buchmesse.
taz: Herr Giardina, welcher Teufel hat Sie geritten, ein elogenbeladenes Buch über die Deutschen zu schreiben?
Roberto Giardina: Gar keiner, denn die Idee zu diesem Buch wurde nicht aus Jenseitigem geboren, sondern aus der nackten Wirklichkeit. Ich wollte, daß in Italien endlich Schluß ist mit dem Klischee vom „häßlichen Deutschen“, das in den Medien mit einer kaum nachvollziehbaren Hartnäckigkeit herumgeistert.
Die deutschen Zeitungen und Publikationen dagegen haben beim Thema Italien vor allem in den letzten Jahren gelernt zu differenzieren und die Italiener mehr oder weniger objektiv zu betrachten. Und das trotz zahlreicher Ereignisse, die manches Vorurteil über Italiener aufs heftigste bestätigen. Liest man dagegen in der italienischen Presse Berichte über Deutschland, gewinnt man schnell den Eindruck, daß sich in fast fünf Nachkriegsjahrzehnten nichts geändert hat. Sogar hochseriöse Korrespondentenberichte handeln fast ausschließlich von „naziskin“, dem deutschen Rassismus, der übermächtigen Deutschen Bank und – besonders einfallsreich – vom Militärischen.
Aber hätte nicht ein literarischer Appell zu weniger Spott und mehr Achtung vor den Deutschen ausgereicht? Mußte es gleich eine Aufforderung zur Liebe sein?
Sicher, „lieben“ ist ein zu starkes Wort. Man sollte nie ein Volk wirklich lieben, ihm also kritiklos zugeneigt sein, vor allem nicht das eigene. Genaugenommen sollte das eine Provokation sein, um sämtliche gern gepflegte „Weisheiten“ über die Deutschen zu entkräften. Wenn es etwas gibt, das ich in meiner Zeit in Deutschland erfahren habe, dann ist es die Einsicht, daß die Deutschen gerade mit den Italienern große charakterliche Gemeinsamkeiten haben. Im deutschen Geist von heute schlummern italienische Verhältnisse en masse.
Die Deutschen als lockere, chaotische, gar dem „dolce vita“ anhängende Zeitgenossen? Das klingt ein bißchen gewagt und absurd.
Keineswegs! Die teutonischen Tugenden wie Ordnung und Präzision, Pünktlichkeit und Fleiß müssen sie hierzulande schon seit langem mit der Lupe suchen. Zur Normalität werdende Zugverspätungen, tagelange Postwege, Amigo-Affären bis zum Erbrechen in fast allen Bundesländern künden von einem neuen Deutschland, dem wir Italiener sympathisch verbunden sein sollten statt ihm mißbilligenden Respekt zuteil werden zu lassen. Wenn sie sich selbst mit den genannten Adjektiven beschreiben, dann lügen sich die Deutschen bewußt etwas vor.
Die Deutschen sind nämlich nicht die Perfektionsmonster, für die wir Italiener sie gern halten, und sind es vielleicht auch nie gewesen. Und fleißige Arbeiter? Sie haben die kürzeste Arbeitszeit der Welt und kriegen dafür das meiste Geld. Sie arbeiten weniger, sind aber qualifizierter? Ihre zunehmenden Schwierigkeiten, mit der internationalen Konkurrenz fertig zu werden und Produktstandards zu halten, weisen sie kaum als Superexperten aus. Ehrlich und unkorrumpierbar? Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik gibt es tagtäglich Skandale und Skandälchen: Gewerkschafter spielen Großaktionär, Politiker lassen sich Reisen finanzieren, die Banken lumpen ihre Kundschaft, und Manager stecken Konkursgelder in die eigene Tasche. Last but not least die Beamten: Sie sind Weltmeister im italienischen „Dolce far niente“. Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung schließlich sind zwischen Elbe und Bodensee auch nicht gerade unbekannte Phänomene.
Summa summarum: Als geradliniges oder konsequentes Volk können die Deutschen kaum angesehen werden. Die Deutschen sind besser, als wir glauben, und anders, als sie selbst befürchten. Also kann man sie lieben. Oder versuchen, sie zu lieben. Auch in unserem italienischen Interesse.
Warum sind Sie so sicher, daß die Deutschen geliebt werden wollen?
Die Deutschen leiden unter Liebesentzug. Kein anderes Volk sorgt sich mit einer derartigen Hingabe um sein Ansehen im Ausland. Die Medien geben mit beinahe masochistischem Eifer die Kommentare zu den „häßlichen Deutschen“ aus Paris, London und New York wieder. „Warum beurteilen uns die Menschen im Ausland so schlecht?“ Diese Frage stellt man sich nirgendwo in Europa so vehement wie hier. Über das Verhalten der Deutschen müssen wir uns deswegen nicht wundern. Es gleich oft Kindern, die – zu Recht oder zu Unrecht – vernachlässigt werden: Sie werden aggressiv, beleidigend und unerträglich. In meinem Buch gebe ich aber keine Anleitung, wie man die Liebe zu den Deutschen gestalten sollte. Ich sage nur: Habt sie erst einmal gern, dann seht ihr schon, was passiert.
Sie machen Schäuble und Konsorten, die die alten Werte wiedereingeführt wissen möchten, ja wenig Hoffnung. Wie sehen denn ihrer Meinung nach die Deutschen der Zukunft aus?
Die Deutschen der Jahrtausendwende werden ihre Arbeitsamkeit vergessen und die Bohème wiederentdecken. Sie werden nicht mehr sicher sein, ob Unterwürfigkeit eine soziale Pflicht bleiben kann, und sie werden sich nicht mehr schämen, sich selbst zu verwirklichen. Sie werden sich zwar gegen französisches Bier wehren und italienische Würstchen verabscheuen, aber sie werden uns ihre Orchester und den Wiederaufbau ihrer Hauptstadt anvertrauen. Sie werden noch verwirrender, noch chaotischer, noch ungenauer, noch fauler, noch verschwenderischer, noch tratschlustiger, noch eitler und noch lärmender als heute sein. Also „Fast“-Italiener. Uns wird es leicht fallen, sie in unser Herz zu schließen. Interview: Franco Foraci
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