■ Neues Aktionsprogramm gegen den Krieg auf dem Balkan: Nur Paprika und Menschen
Wahrscheinlich ist den internationalen Krisenmanagern der Jahrestag nicht einmal aufgefallen. Am 22.Mai 1992 wurde Bosnien-Herzegowina als souveräner Staat in die Vereinten Nationen aufgenommen. Am 22. Mai 1993 – am vergangenen Samstag – haben sich die Außenminister von vier der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – USA, Rußland, Großbritannien und Frankreich – zusammen mit ihrem spanischen Amtskollegen öffentlich von Bosnien-Herzegowina verabschiedet. Ihr am Wochenende verkündetes „gemeinsames Aktionsprogramm“ ist ein Programm der Drohungen, des Zuschauens, des Abwartens – kurzum: der Nichtaktion. Im einzelnen sieht der 13-Punkte-Katalog vor: Ein internationales Tribunal soll, wie längst beschlossen, Kriegsverbrechen ahnden; die Sanktionen gegen Serbien und Montenegro sollen, wie gehabt, energisch durchgesetzt werden; Kroatien werden Sanktionen wegen der Auseinandersetzungen in der Herzegowina zumindest angedroht; und die Verbündeten halten sich, wie seit über einem Jahr, die Option auf neue, härtere Akionen offen. Von der Wiederherstellung eines souveränen Staates Bosnien-Herzegowina ist keine Rede mehr, und auf den Vance-Owen-Plan, bis vorgestern noch Grundlage aller Verhandlungen und Vorstellungen einer künftigen Friedensordnung wird nicht einmal mehr Bezug genommen.
Aber immerhin will man nun für die muslimische Restbevölkerung – mit Hilfe von 4.000 bis 5.000 Blauhelmen! – Schutzzonen einrichten und die USA zeigen sich nun sogar bereit, zwar nicht die Muslime, aber wenigstens die UN-Soldaten, die diese Schutzzonen sichern sollen, notfalls aus der Luft gegen Angriffe zu schützen. Beeindrucken wird all das auf dem Balkan niemanden mehr, am wenigsten die Aggressoren. Ihre Eroberungen werden ihnen nun nicht einmal mehr politisch streitig gemacht. Massenvertreibung, Massenvergewaltigung, Massenterror und Massenmord haben sich offenbar gelohnt.
Je länger jegliche militärische Intervention in Bosnien-Herzegowina ausblieb, desto größer wurde angesichts von 200.000 Toten und einer Million Vertriebener der objektive Handlungsbedarf und desto geringer die realen Optionen der Hilfe für etwa eine Million eingeschlossener Menschen. Jetzt haben Westen und Osten auch noch von der leider letzten Option, die inzwischen noch geblieben ist, der militärischen Durchsetzung einer gesicherten Versorgung der belagerten Städte, Abstand genommen. Ob die Menschen in Sarajevo, Bihać, Goražde, Srebrenica, Zepa Lebensmittel erhalten oder nicht, werden die serbischen und immer mehr auch die kroatischen Kriegsherren entscheiden, und sie werden ihr Plazet sich politisch bezahlen lassen. Der Preis wird letztlich die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen Serbien und Kroatien sein. Die knapp zwei Millionen Muslime, ursprünglich die Mehrheitsbevölkerung der gerade ein Jahr alten Republik, werden größtenteils in Flüchtlingslagern und Schutzzonen leben. Mit dem terroristischen Potential, das sich daraus möglicherweise ergibt, läßt sich leben. Beispiele dafür gibt es genug. Nein, in Bosnien-Herzegowina gibt es nun einmal, anders als in Kuweit, kein Öl – nur Paprika, Zwiebeln und Menschen. Thomas Schmid
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen