■ Neue Vorwürfe gegen Gregor Gysi: Schulterschluß innerhalb der PDS
Der Anwalt hat wohl geahnt, was auf ihn zukommt. Schon Tage bevor die belastenden Materialien gegen ihn publik wurden, hat Gregor Gysi die Verteidigungslinie aufgebaut, mit der er die neuerlichen Vorwürfe zu parieren gedenkt. Gegenüber den „parteipolitisch manipulierten Bescheiden eines Bundestagsausschusses, der Gauck-Behörde oder anderer Bundesbehörden“, so der PDS-Politiker am letzten Montag, seien ihm die Entscheidungen unabhängiger Gerichte wichtiger. Das Landgericht Hamburg hatte zuvor Gysis IM-Tätigkeit als üble Nachrede gewertet. Auf diesen Spruch will er nun bauen, weitere Verfahren nicht mehr anstreben, es sei denn, „substantiell neue Dokumente“ würden bekannt.
Da, so ist zu vermuten, besagte „parteipolitisch manipulierte Bescheide“ dieses hohe Erfordernis nicht erfüllen, wird sich der Fall des IM „Notar“ wohl weiterhin in jenem Bermudadreieck zwischen Tatsachenbehauptung, Gegenbehauptung und Wahrheitsfindung bewegen, in dem die Gesetze der menschlichen Logik in dem Maße außer Kraft gesetzt sind, wie ein Vertrauen in die ordentliche Aktenführung der Stasi angebracht ist, und in dem bereits der Fall des IM „Sekretär“ auf immer unterging.
Was Stolpe recht war, daß die Beweiswürdigung eine Frage des politischen Standortes ist, wird Gysi nun billig sein. Allein der SPD-Ministerpräsident hatte die stärkeren, die sozialdemokratischen Bataillone auf seiner Seite, für den PDS-Fraktionschef wird sich lediglich ein postsozialistisches Häuflein in die Bresche werfen, das bundespolitisch mit der eigenen Perspektivlosigkeit kämpft und bereits den unfreiwilligen Rückzug in den heimatlichen Sprengel antritt.
Man wird mal wieder zwei Wahrheiten hören: eine der erdrückenden Beweislast der Akten, durch die sich die Bürgerrechtler ebenso bestätigt sehen wie sich die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages aufgefordert fühlt, den Stasi-Mitarbeiter zu ächten und aus ihren Reihen auszuschließen. Und eine der DDR-Epigonen in der PDS, denen der selbsterhobene Preis dieser Wahrheit zu hoch ist und die sich um den Preis des Selbsterhalts in die Halbwahrheit der Systemnotwendigkeiten flüchten. Gysi wird, welch Ironie der Geschichte, seine vehementesten Verteidiger in jener Phalanx finden, die zugleich zum Angriff auf die Reformer in der PDS geblasen hat und die er und Bisky mit Rücktrittsdrohungen in Schach halten. Diese PDS-eigene Dialektik von Kampf und Einheit der Widersprüche strebt keine höhere Ebene mehr an – sie wird zum Selbstläufer. Dieter Rulff
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