Neue Platten : Nylon haben in den Club gepackt, was sich die Alten einst singen ließen, und hoffen, dass damit auch „Die Liebe kommt“
Irgendwas ist hier falsch. Irgendwas klingt geschummelt. Und das liegt bei „Die Liebe kommt“, dem Debüt der Berliner Band Nylon nicht an den Songs, selbst wenn die nicht unbedingt zum engeren Herzkästlein der deutschen Popgeschichte zählen. Für ihr Projekt, deutsches Liedgut aus immerhin neun Dekaden mit den Mitteln der Clubmusik frisch zu machen, ließen Nylon eher die robusten Schlager aus der zweiten und manchmal gar dritten Reihe vortanzen. Solide Zeugnisse einer Unterhaltungsmusik, die auch nicht besser werden, wenn man mit dem abgespreizten kleinen Finger Chanson dazu sagt. Die ihre Funktion jedoch durchaus erfüllen, also Unterhaltungsmusik zu sein. Aber wie gesagt: Daran liegt es nicht. Nicht an den Liedern. Sondern was daraus gemacht wurde.
Vordergründig mag es die unerschütterliche Art sein, in der Lisa Bassenge (die sich hier Niku Sebastian nennt) die Lieder angeht, sie nämlich alle im gleichen und ziemlich unbeteiligten Tonfall zu singen, was aber auch Kalkül sein kann. Denn überhaupt haben die Musiker – sie kommen aus dem Feld des Sonar Kollektivs – über alle diese Lieder eine Plastikschutzhülle gelegt, gerade so, als würden sie die von ihnen doch selbst erwählten Lieder gar nicht lieben. Als wollten sie nicht wirklich mit ihnen in Kontakt kommen.
Das ist so eine aseptische Angelegenheit geworden. Als müsse man sich von etwas distanzieren. Wofür es ja durchaus gute Gründe gäbe, weil dieser ganze Schein und das Sehnen des deutschen Schlagers (und nicht nur in seiner piefigen 70er-Jahre-Ausprägung) doch bestenfalls ironisch zu ertragen ist. Oder man verklärt es zum Kultgegenstand. Ja, auch dieses „Johnny, wenn du Geburtstag hast“, mit dem Marlene Dietrich Erfolge feierte. Daneben findet sich auf der CD noch viel kleinmütigeres Zeug, das erstaunlich hüftsteif in House, Softtechno, Dub und sonstige Elektroküchen gesteckt wurde, dass auch bestimmt kein Charme mehr übrig bleibt, den die von Hildegard Knef, Manfred Krug oder den Comedian Harmonists gesungenen Originale doch irgendwie noch hatten.
Aber Nylon sind nicht ironisch und sie tanzen nicht um den Fetisch des Kults. Nichts davon. Wahrscheinlich wollte man hier nur zeigen, dass auch Lieder aus dem Plattenschrank der Eltern clubtauglich gemacht werden können. Bleibt die Frage, was damit bewiesen werden sollte? Die zeitlose Gültigkeit der Songs eher kaum, denn da ist man mit den Originalen wirklich besser bedient. Vielleicht aber war es ein Anliegen von Nylon, darauf zu verweisen, dass die Loungemusik das zeitgemäße Äquivalent zu den Chansonschlager von einst ist. Stimmungsmäßig. Der Club. Das neue Kaffeehaus. Und Kaffeehaus war schon immer aufgehübscht. Nur dass die Lieder, die wirklich überlebt haben, von Menschen mit Charisma vorgetragen wurden, die das Artifizielle aufbrachen und sie mit Leben füllten. Irgendwie. Ausgewiesene Nichtsänger wie Hildegard Knef oder Marlene Dietrich. Stimmen, wie sie heute fehlen und die man sich auch nicht einfach aus dem Einst borgen kann. Deswegen klingt’s hier falsch. THOMAS MAUCH