Neue Platten : Diese seltsame, diese traurige, diese schöne Welt
Ist stimmungsvoll, die Scheibe von Chica and the Folder. Was sich leicht dahinschreibt und vielleicht doch mal genauer benannt sein sollte. Stimmungen sind ja eher was Persönliches. Wenn ich also mal meine präsentieren darf: Ich sehe mich da in so einem alten tschechoslowakischen Kinderfilm, aus der Produktion, bei der man neben aller Poesie nie die genaue Beobachtung vergessen hat, und Pan Tau tippt an seine Melone, und plötzlich ist man mitten in der Nacht, mitten in Berlin, auf einer verlassenen Straßenkreuzung, und die roten Ampellichter tanzen auf dem regennaßen Asphalt … jetzt aber ganz prosaisch: Chica and the Folder, das ist Chica Paula, Chilenin in Berlin, DJ und beim Oceanclubradio mit dabei, dazu Max Loderbauer, die eine Hälfte von Sun Electric und hier the Folder. Zusammen haben die beiden auf ihr Album „42 Mädchen“ weich und warm sich knautschende Elektronika gepackt, manchmal klingt’s wie eine Glasorgel. Schwebende Sounds. Dazu sich räuspernder Treibsand. Die üblichen Chillout-Zutaten also, die hier allerdings zum Hörspiel umgedeutet werden. In einer fernöstlichen Melodie wird ein Gedicht von Else Lasker-Schüler geschaukelt, die Version eines alten Brian-Eno-Liedes passt mit seiner melancholischen kinderliedhaften Pop-Perfektion bestens in das verschroben plausible Konzept. Ein Land hinter den Spiegeln, verwahrt in Schneekugeln. Man braucht schon ein wenig Geduld dafür und Hingabe: wenn es mal unentschlossen rumpelt, nur tändelt in der Putzigkeit. Es gehen ja auch nicht alle Märchen immer gut aus. Und plötzlich hört man (in „Últimas palabras“) Allende mit seiner Abschiedsrede an das chilenische Volk. Und das ist kein Gimmick. Das ist Seelenarbeit. Bei einer Platte, die einem zuflüstert, beim nächsten Ampelrot ruhig mal stehen zu bleiben und sich diese seltsame, diese traurige, diese schöne Welt zu betrachten. TM