Neue Platten: Ein Lob auf das Vulgäre
Von allem zu viel. Und das mit Haltung! - die neue Platten des Pariser Duos Justice "Planet Earth" von Prince.
So großartig die vergangenen Jahre für die elektronische Tanzmusik waren: eines ist ihr verloren gegangen - die Freude am Vulgären. Auch und gerade weil der deutsche Minimal-House-Sound eine so hegemoniale Stellung bekommen hat, eine Musik, die - trotz allen Drogenkonsums, zu dem sie anregt, und der damit einhergehenden Einladung zur Überschreitung - geschmacksverliebt ist wie wenige andere und ein äußerst fetischisiertes Verhältnis zu ihren Einzelsounds pflegt. Hier noch einen kleinen Hall auf die Snare? Oh ja! Aber bloß nicht zu viel!
Es macht den Erfolg des französischen Elektro-Glam-Punk-Duos Justice aus, dass ihre Musik vollkommen anders funktioniert: Hier ist von allem zu viel. Zu viel Gebratze, zu viele Samples, zu viel Lautstärke, zu viel Verhackstückung, zu viel Farbe, zu viel Filter.
Justice gehören zum Pariser Plattenlabel Ed Banger, das sich, wie man dem Namen schon entnehmen kann, einem recht einfach zu umreißenden Programm verschrieben hat: den Dreck des harten Rock in die elektronische Tanzmusik zu überführen. Oft sind die Ed-Banger-Platten hart an der Grenze zur Unhörbarkeit, weil sie versuchen, zu schlau zu sein - im Geiste falsch verstandener Hipsterironie werden die Gitarrensamples so gründlich zerschreddert, dass nur noch Noise übrig bleibt. Nun gibt es ironisches Tanzen aber genauso wenig wie ironischen Sex. Und bei aller Nerdschlauheit, die Xavier de Rosnay und Gaspard Auge in Interviews auch heraushängen lassen - eines haben die beiden besser verstanden als irgendjemand seit Daft Punk: Das Vulgäre kennt keine Unterschiede. Es gibt nur Gegenwart, Intensitäten und den direkten Klangimpuls.
So bolzen sie sich durch zwölf Tracks, die so schöne Titel wie "Let There Be Light", "One Minute To Midnight" oder "Theee Ppaarrttyy" heißen. Meistens bestehen die Stücke aus zu Tode gefilterten Rockgitarren, die einem flimmernden Electrobeat zum Fraß vorgeworfen werden, mit Ausflügen in das New-Jack-Genre, Disco-Anleihen und Hiphop-Einflüssen. In bester Rocktradition spielt "" fast immer in der Gegend des Frequenzspektrums, wo es richtig weh tut. In den Mitten nämlich.
Interessanterweise führen Justice in der langen Liste der Künstler, bei denen sie sich für Inspiration bedanken, neben 50 Cent, Slipknot, Dopplereffekt, Soundhack, Devo, Modest Mussorgsky und einigen anderen auch Prince auf. Was unmittelbar einleuchtet: Neben allem anderen war er immer auch ein Großmeister des Vulgären.
Nun verträgt sich das Vulgäre im Pop schlecht mit Alter und Glauben: Wenn man die Hülle von "Planet Earth" allerdings zur Hand nimmt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Prince mit seiner neuen CD eine Ausnahme von dieser Regel bildet: ein quietschbuntes Wackelbild, das wahlweise das Prince-Symbol zeigt oder Prince selbst, wie er sich beschwörend über eine Weltkugel beugt. Das ist ein weiter Weg vom zurückhaltenden Schwarzweiß-Design des letzten Albums.
Wenn Prince sich auf jener Platte am gegenwärtigen Sounddesign der schwarzen Musik orientierte, so rudert er für "Planet Earth" zurück in die Achtziger: Mit Wendy & Lisa sowie Sheila E. hat er sich sogar die sagenumwobene Rhythmusgruppe jener Tage zurückgeholt, als er sich jenseits von Schwarz und Weiß inszenierte, sich Frauen als Doppelgänger suchte und diese Identitätsspiele in musikalisch so avancierte wie mainstreamwirksame Großkunstwerke des Vulgären umsetzte.
Dort wird nun wieder angesetzt. Ganz großer Schlongrock etwa das zweite Stück "Guitar" mit seiner Kernzeile "I love you baby, but not like I love my guitar", im Grunde ein Nachbau des Klassikers "Girls & Boys", bloß mit massivsten Gitarrengegniedel aufgemotzt. Irgendwie geht es in Stücken wie "Planet Earth" oder "Somewhere Here On Earth" auch um die Gefahren des Klimawandels. Dass Prince dazu seine alte Musik recyclt, ist eine schöne Geste.
Justice: "" (Ed Banger Records/Because), Prince: "Planet Earth" (NPG Records/SonyBMG)
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