Neue Krisen für Europa : KOMMENTAR VON BARBARA OERTEL
Jetzt holt die Union den großen Hammer raus. Vollmundig verkündigt der Chef des EU-Ausschusses im Bundestag, Matthias Wissmann, das Parlament werde die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in die EU stoppen, notfalls mit einem Veto. Sein Fraktionskollege Peter Hintze will gnädigerweise noch den EU-Fortschrittsbericht im November abwarten, bevor das Verdikt des Bundestags ergeht. Offensichtlich reicht der „privilegierte Partner“ Türkei Merkel und Co. nicht mehr aus, um im Kampf um Wählerstimmen Ängste und Ressentiments gegen eine weitere Erweiterung der Europäischen Union zu schüren. Nun wird eben auch auf Sofia und Bukarest eingeprügelt.
Wirklich überraschend kommt dieser Vorstoß nicht. Denn schon seit der Unterzeichnung der Beitrittsverträge im April werden Angela Merkel und Edmund Stoiber nicht müde, Nachverhandlungen anzumahnen, um eine drohende Masseneinwanderung von Billigarbeitern zu unterbinden. Dass die Union sich mit ihrer Kampagne nun jedoch auf das Niveau der Bild-Zeitung begibt, die mit angeblichen Jobversprechen Berlins gegenüber Bulgaren und Rumänen Stimmung macht, verwundert denn doch. Zumal die Weigerung eines Parlaments, den in Brüssel beschlossenen Beitritt eines Landes abzusegnen, einen beispiellosen Präzedenzfall in der Geschichte der EU darstellen würde.
Es ist also kaum anzunehmen, dass sich der Bundestag zu einem solchen Schritt entschließen würde. Dennoch richtet die populistische Rhetorik der Union erheblichen Schaden an – allem voran in Bulgarien und Rumänien selbst. Die Regierungen in Sofia und Bukarest wissen nur zu gut, dass ihnen bis zur Erlangung der EU-Reife noch einiges zu tun bleibt. Noch haben sie für ihren Reformkurs die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, die – den Beitritt vor Augen – bereit ist, auch schmerzhafte Einschnitte mitzutragen.
Das könnte sich jedoch schnell ändern, sollte der Beitritt der beiden Staaten zur Europäischen Union erneut in Frage gestellt werden. Eine erneute Beitrittsdiskussion aber oder gar eine Blockade der geplanten Beitritte würde der jetzigen Krise in EU-Europa unweigerlich eine weitere hinzufügen.
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