■ Neue Kommunikationstechniken und Demokratie: Her mit der Info-Republik!
Stell dir vor: In Deutschland findet eine gewaltlose Revolution statt, aber die politischen Gruppen gehen nicht hin. Da beginnt dank moderner Datenleitungen und interaktiver Systeme über Telefon, Computer und Fernsehgerät gerade eine Kommunikations-Revolution. Welche Chancen aber bieten diese neuen Informationstechniken der Demokratie? Ließen sie sich nicht nutzen, damit der Bürger mehr Rechte, mehr Freiheit bekommt?
Ob man nun zur Post, zum Einwohnermeldeamt oder zum Bahnschalter geht, die Botschaft ist: Bürger, du nervst, Wir sind der Staat, und wir brauchen dich nicht! Öffnungszeiten, die der Berufstätige so gut wie nicht wahrnehmen kann, Gesetze, die man tagelang in Bibliotheken nachschlagen muß, patzige Beamte, all das ist eher die Regel als die Ausnahme.
Je mehr ich aber über meine Rechte, die Umwelt, die Zusammensetzung der Lebensmittel oder die Arbeit von Regierung oder Behörden weiß, desto mehr Möglichkeiten habe ich zu handeln. Das nenne ich Freiheit! Freie Menschen aber nerven.
Ich bin in der DDR aufgewachsen: Es war schlimmer zu wissen, daß ich nicht nach Paris fahren durfte, als tatsächlich nicht nach Paris zu fahren. Die Machthaber in der DDR liebten die Geheimniskrämerei: weder die Werte der Luftverschmutzung waren öffentlich, noch gab es genaue Statistiken über die Wirtschaft oder den Staatshaushalt. Auf Fragen gab es die Antwort: Mehr Information nützt dem Feind, der der Westen sein sollte – aber natürlich der DDR-Bürger war. Das verrückteste Gesetz der DDR bestimmte, wonach die noch frei zugänglichen Informationen „nicht gesammelt und in einen Zusammenhang“ gebracht werden durften, der der offiziellen Propaganda widersprach. „Glasnost“ machte dann frei.
Wieso klagt jetzt eine englische Zeitung und wieso klagen nicht die Grünen dagegen, daß die Protokolle der Sitzungen des EU-Ministerrates geheim sind? Kein EU- Bürger weiß, welcher Premier wie in Brüssel abgestimmt hat! Wieso thematisieren die Grünen nicht, daß es in Deutschland noch „Staatsgeheimnisse“ gibt? Wieso dürfen Beamte und Regierende dem sie bezahlenden Bürger Informationen vorenthalten? Wie lange dauert es, bis ein Nichtjurist ihn betreffende Gesetze im Wortlaut gefunden hat? Wie lange muß ich telefonieren oder auf Ämter gehen, bis ich die Verantwortlichen dafür gefunden habe, daß die Schönhauser Allee in Berlin-Prenzlauer Berg in kurzer Zeit fünfmal auf- und zugemacht wurde?
Freiheit ist ein anderes Wort für „Bürgerrechte“, Freiheit definiert sich über „Information“. Klassische Liberale müßten doch geradezu aufgeschrien haben vor Glück, als sie von den neuen Informationstechniken lasen. Aber nichts da. Totenstille. Und auch bei den Bündnisgrünen weiß man offensichtlich immer noch viel besser, wogegen statt wofür man ist.
Was aber ließe sich im Zeitalter der Info-Revolution alles einrichten:
Zum Beispiel eine bundesweite Rechtsauskunft, wo rechtskundige Mitarbeiter in kürzester Zeit Gesetze heraussuchen, diese per Datenleitung in die Mailbox oder in den TV-Videotext des Fragenden senden, samt einer Übersicht über vergleichbare Fälle, Kommentare, Telefonnummern von Rechtshilfeorganisationen usw.
Zum Beispiel eine Umweltauskunft: Die Produzenten aller Waren werden verpflichtet, die stoffliche Zusammensetzung der Produkte, Herkunft, eine Umweltbilanz usw. in einem Archiv abzuspeichern. Auch das wäre selbstverständlich per Telefondatenleitung zugänglich oder im Supermarkt-TV-Gerät. Den Produzenten wäre es dann nicht mehr möglich, den Konsumenten mit Angaben wie E 222 abzuspeisen oder wegen eventueller Nebenwirkungen zum Apotheker zu schicken.
Außer per Telefon können die Informationen über Terminals erfragt werden, die frei zugänglich auf Bahnhöfen, in Rathäusern, Supermärkten, Schulen usw. sind. Kinderleichte Bedienung versteht sich von selbst. Und dann lassen sich die Infos auch in den TV-Videotext einspeisen. Einen Fernseher hat jeder, einen Computer nicht. Wichtig: Der Bürger, der Informationskunde, hat auch das Recht, umgekehrt Ideen und Vorschläge einzubringen. Politiker, Beamte, Firmen sind zur Antwort innerhalb kurzer Zeit verpflichtet.
Für den „Informations-Rechtsstaat“ gibt es ein real existierendes Beispiel: Schweden. Leider müssen die Skandinavier aufpassen, daß sie bei einem eventuellen EU- Beitritt nicht ihr Öffentlichkeitsgesetz verlieren. Eine EU, die die Forderung nach Kennzeichnung von bestrahlten Lebensmitteln als Produzentendiskriminierung betrachtet, ist gefährlich. Heißt das doch, daß die EU-Beamten den mündigen, weil informierten Bürger als gefährlich betrachten. Theoretisch hätten auch die Deutschen die Möglichkeit, sich über die in Schweden ausliegenden EU- Akten die Informationen zu holen, die ihnen hierzulande verweigert werden. Sollte Schweden wirklich der EU beitreten, wird der EU- Apparat versuchen, die schwedischen Öffentlichkeitsgesetze auszuhebeln.
In den „Schwedischen Grundgesetzen“ gibt es im Pressegesetz ein Kapitel 2: „Zur Förderung eines freien Meinungsaustauschs und einer allseitigen Unterrichtung ist jeder schwedische Staatsbürger zur Einsichtnahme in offizielle Akten befugt.“ Der Bürger bekommt hiermit Rechte, die als dringlich zu behandeln sind. In den 16 Paragraphen befinden sich sogar Formulierungen wie „Wenn jemand Einsichtnahme (...) verlangt, darf die Behörde dies nicht zum Anlaß nehmen, genauer nachzuforschen, wer der Betreffende ist und was er damit bezweckt“, es sei denn, eine der wenigen Verweigerungsfälle kommt in Frage. Noch besser: In Paragraph 15 heißt es ausdrücklich, daß der antragstellende Bürger eine eventuelle Verweigerung gerichtlich anfechten darf – auch das muß dringlich behandelt und darf nicht verschleppt werden. Das geht so weit, daß ein Schwede in die Amtsstube gehen darf und der Beamte ihm zeigen muß, welche Akte und welchen Vorgang er gerade bearbeitet. Das Wunderbare daran ist, daß der Bürger ein formuliertes Recht auf Information hat – das ist der Ansatz für die „Info-Republik“!
Ein so weitreichendes Gesetz braucht Deutschland auch. Sollten etwa Bündnis 90/Die Grünen sich dafür einsetzen, dann könnten sie auch jüngere Wähler an sich binden. Die haben großteils einen selbstverständlichen Umgang mit moderner Computer- und Datentechnik. Sie könnten mit all jenen zersplitterten Gruppen der Gesellschaft auf unideologische Weise zusammenarbeiten, die sich gleichfalls der Zugänglichkeit von Informationen widmen, etwa mit Verbraucherverbänden und Umwelt- und Naturschützern.
Die wirkliche Lehre aus dem Untergang der DDR ist doch die: Je mehr Informationen zugänglich sind, desto demokratischer ist das Land. Es ist an der Zeit, die Informationsrevolution für die Gründung einer „Info-Republik“ zu nutzen. Falk Madeja
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