Neue Chefriege für Globalisierungskritiker: Attac tauscht Anführer aus
Nach dem Abtritt der Gründergeneration wählen die Aktivisten eine neue Führung. Ob das Netzwerk damit nach links oder in die Mitte rückt, ist damit nicht entschieden.
Das Wort "Führung" mögen sie bei Attac nicht. Es passt nicht zum basisdemokratischen Selbstverständnis der Globalisierungskritiker. Trotzdem gab es immer eine dominante Chefriege. Jetzt tritt sie ab. Das Attac-Basistreffen "Ratschlag", das an diesem Wochenende in Gladbeck den neuen Koordinierungskreis ("Ko-Kreis") wählt, dürfte so zu einem der spannendsten in der achtjährigen Geschichte der Organisation werden.
Seit der Gründung von Attac haben Peter Wahl (59), Sven Giegold (38) und Werner Rätz (55) die Geschicke der Organisation geprägt - und zuletzt zunehmend die verschiedenen Flügel markiert. Vor einem Jahr verabredeten sie gemeinsam ihren Rücktritt für diesen Herbst.
Die erste sichtbare Folge des Generationswechsels: Anders als in den vergangenen Jahren stehen deutlich mehr Kandidaten zur Wahl für den Koordinierungskreis als es Plätze gibt. "Die Riege der Alteingesessenen hat in den letzten zwei, drei Jahren sicher auch eine abschreckende Wirkung auf potentielle Bewerber gehabt", räumt Peter Wahl ein. Chris Methmann (26), der in Zukunft zu den Dienstältesten im Ko-Kreis gehören wird, hat beobachtet: "Es ist attraktiver geworden, sich zu engagieren."
Über die neuen Mitglieder im Koordinierungskreis wird bei Attac per Abstimmung entschieden. Bei der Frage der thematischen Ausrichtung wird die Entscheidung dagegen im Konsens gefällt. Und ob sich die Gegensätze zwischen Mitte und links mit dem Abgang des alten Personals auflösen werden, ist noch längst nicht abzusehen.
Denn seit den G8-Protesten diskutiert man bei Attac vor allem interne Fragen: Wer gehört dazu? Wie geht man mit denen um, die Gewalt nicht ablehnen? Und wen will man überhaupt ansprechen? Die moderate Fraktion um Peter Wahl findet: die nach links rückende gesellschaftliche Mitte, die wie Neu-Mitglied Heiner Geißler die Attac-Interpretation der Globalisierung schätzt. Der Gegenflügel um Werner Rätz plädiert für einen radikaleren Kurs im Bündnis mit Gruppen wie der Interventionistischen Linken.
Welcher Kurs sich durchsetzt, wird von den neu gewählten Personen abhängen. "Das Rennen ist sehr offen", sagt Peter Wahl. Er sieht die "Gefahr einer Instrumentalisierung durch das ultralinke Milieu" - wenn "in Zukunft starke Personen fehlen, die diese sektiererische Einflussnahme aufhalten könnten." Werner Rätz dagegen glaubt, dass das "produktive Spannungsverhältnis" zwischen Mitte und Linken, auch mit neuem Personal bleiben wird. "Das war immer ein unverzichtbarer Teil von Attac."
Einig sind sich die Aktivisten darin, dass sie nach den G8-Protesten einen neuen Themenschwerpunkt brauchen. Sicher ist: Die Kampagne gegen die Bahn-Privatisierung wird weitergehen. Im Gespräch ist auch eine Kampagne gegen die Energiekonzerne. Anders als die Umweltverbände würde Attac dann den Klimaschutz mit der Frage nach der Kontrolle über die Konzerne verbinden. "Die Eigentumsfrage neu stellen - aber wie?", heißt eine der Leitfragen des Ratschlags. Ob diese Ausrichtung eine gute Idee ist, ist jedoch intern noch nicht geklärt: "Anders als beim Thema Finanzmärkte weist die Öffentlichkeit Attac beim Thema Energie keine Kompetenz zu", findet Peter Wahl. Er plädiert dafür, sich wieder stärker auf ein ureigenes Attac-Thema zu konzentrieren: die Rolle der Finanzmärkte als Triebkraft der Globalisierung.
Für den aktivistischeren Attac-Flügel böte eine Konzernkampagne dagegen Chancen und "Aktionsangebote", wie Werner Rätz sie nennt. Schließlich gebe es in ganz Deutschland Kraftwerke. "Da könnte man sich mit vielen Leuten drum rum versammeln."
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