Neue Atomkraftwerke werden das Klima nicht retten : Zuckungen einer Uralttechnologie
Stellen wir uns einen Verkehrsunfall mit Schwerverletzten vor. Helfen kann nur der Notarzt. Doch statt diesen zu rufen, debattieren die Passanten lieber darüber, dass an dieser Straßenecke der Bau einer Unfallklinik dringend erforderlich wäre. Natürlich ist dieses Szenario absurd. Doch die Atomlobby und auch mancher Politiker in der Welt verfahren in der Energiepolitik genau nach diesem Schema: Das Klima liegt im Sterben – doch statt auf die kurzfristig verfügbaren und dringend notwendigen Abwehrstrategien zu setzen, holt man die Atomkraft wieder aus der Mottenkiste.
Dabei wird ignoriert, dass ein Reaktor mindestens 10, vermutlich aber sogar eher 15 bis 20 Jahre Planungs- und Bauzeit braucht. Wenn also die Briten heute über einen neuen Atommeiler nachdenken, kann dieser frühestens zwischen 2015 und 2020 ans Netz gehen. Ganz abgesehen davon, dass Atomkraftwerke aufgrund von Faktoren wie Brennstofferzeugung und -transport nicht CO2-frei sind: So viel Zeit hat das Weltklima nicht mehr. Gerade die Briten sollten wissen, dass Klimaschutz viel schneller und billiger zu haben ist als mit der Uralttechnik Atomkraft. Das werden sie paradoxerweise in den nächsten Jahren sogar selbst beweisen: mit Offshore-Windkraft, Strom aus Meeresströmungen und Wellenkraft.
Die Zubauleistung im Sektor der erneuerbaren Energien wird in Großbritannien in den kommenden Jahren ein Vielfaches der Leistung eines neuen Atomkraftwerks erreichen – und das, bevor der erste Atommeiler überhaupt im Rohbau fertig sein kann. Übrigens geht der Trend auch global längst in Richtung der Alternativen: Der weltweite Zubau an Windkraftleistung liegt seit zehn Jahren über dem Zubau an Atomkraft.
Die Pläne zum Bau neuer Atomkraftwerke sind daher nichts anderes als letzte Zuckungen einer Industrielobby und einiger Politiker, die sich einfach nicht damit abfinden können, dass die Nukleartechnik ihren Zenit längst überschritten hat. Schlicht, weil es längst ökonomisch vernünftigere und für den Klimaschutz schnellere und effizientere Technologien gibt. BERNWARD JANZING