: Neu in der Gondel und im neuen Ufa-Palast: „Henry & June“, Film von Philip Kaufman
■ Poor old Henry! Oder: Öde Tage in Clichy
Der arme Henry Miller! Kurz hintereinander kommen gleich zwei Filme über ihn heraus, und beide sind schlecht. Philip Kaufman und Claude Chabrol (“Stille Tage in Clichy“) gehen zwar ganz unterschiedlich an Miller heran, aber dennoch ähneln sich beide Filme in ihrer Wirkung frappierend: beide zeigen Sinnlichkeit sehr unsinnlich, beide sind viel zu sauber, ordentlich und humorlos, um dem dreckig genialen Miller gerecht zu werden, und beide sind langweilig. Philip Kaufman hat mit viel Respekt die autobiographischen Schriften von Anais Nin verfilmt und dabei ganz übersehen, daß nicht der Inhalt, sondern der Stil diese Aufzeichnungen zu großer Literatur machen. Filmisch nacherzählt ist die Dreiecksgeschichte zwischen Miller, seiner Frau June und Anais Nin eine triviale, sich über 134 Minuten in die Länge ziehende Affäre. Für kurze Zeit sieht man den guten Schauspielern Fred Ward (Miller) und Maria De Medeiros (Nin) gerne zu, aber man merkt schon schnell, daß sie eigentlich nichts zu spielen haben. Die großen Leidenschaften werden immer nur heraufbeschworen, aber nie wirklich spürbar gezeigt, und die „gewagt“ erotischen Szenen sind auch so kalkuliert, vorsichtig und aseptisch, daß die Entscheidung der amerikanischen Zensurbehörde, den Film als „x-rated“ nur einem begrenzten Publikum zu zeigen, die einzige gute Pointe des Streifens ist. Kaufman hat sich mit den Drehorten und den Details der Epoche große Mühe gegeben, aber weil man so wenig hat, was einen sonst fesseln könnte, schaut man genau auf die Kleinigkeiten, und dann bemerkt man natürlich solche Patzer wie die Franc-Scheine aus dem Nachkriegsfrankreich oder die moderne Zentralheizung im Paris der dreißiger Jahre.
Kaufman ist offensichtlich ein Bewunderer von Miller und Nin, aber diese Gefühle lähmen ihn und machen „Henry und June“ zu einer zähen, leblosen Literaturverfilmung im schlimmsten Sinne des Wortes. Und der arme Henry kann sich nicht mehr gegen solche Bewunderer wehren. Wilfried Hippen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen