■ Neu im Kino: "Wintermärchen": Liebe, Wunder, kalte Tage
Neu im Kino: „Wintermärchen“
Liebe, Wunder, kalte Tage
Bei diesem Film müssen die Kinobesitzer gut heizen: zwei Stunden winterliches Frankreich sind zu sehen. Felicie und ihre Tochter Elise hat Eric Rohmer für seinen zweiten Film des Vier-Jahreszeiten-Zyklus in dicke Pullover, Jacken und Schals verpackt. Felicie muß auch im übertragenen Sinne überwintern, seit fünf Jahren sucht sie ihre wahre Liebe: den Vater ihrer Tochter, den sie im Urlaub kennengelernt und wegen eines Versehens nach wenigen Tagen wieder verloren hat. Ihre Liebschaften mit dem Friseur Maxence und dem Bücherwurm Loic sind nur halbherzige Kompromiße.
Davon, wie sich die drei in diesem Dilemma abquälen, erzählt der Film mit absichtlich kunstlosen, langen Szenen, in denen viel geredet wird: fast zu lang, fast zu banal, fast langweilig. Aber Rohmer hält diese feine Balance zwischen Alltag und Poesie mit einer heiteren Beiläufigkeit, die gerade das Normale, das Unspektakuläre und Triste auf der Leinwand zum Glänzen bringen kann. Felicie macht es sich und ihren Männern schwer, und Rohmer erspart uns weder ihre abrupten Entscheidungen, Abreisen und Rückweisungen noch die darauf folgenden Erklärungen mit Sätzen wie „Du weißt genau, daß du nicht denkst, was du sagst“ oder das immer höchstverdächtige „Ich leide vielleicht mehr als du!“
Fast schwenken die Sympathien entgültig zu den verlassenen Liebhabern um — versuchen sie nicht ihr Bestes, während Felicie sich wie eine verwirrte Trine gebärdet? Aber gerade weil sie ihren Traum scheinbar ganz unvernünftig verteidigt, rührt uns Felice mit ihrer unbeirrbaren Hoffnung, und wenn sie in einer Theateraufführung von Shakespeares „The Winter's Tale“ weinend sich selbst wiedererkennt, spürt man, daß das Wunder nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Auch im vollen Autobus können Märchen glücklich enden, und im Hintergrund der großen Wiedersehenszene steht ein Straßenfeger mit verdutzem Gesicht in der Kälte.
Für Rohmer ist „Wintermärchen“ eine Geschichte, „wie sie alte Frauen am Winterabend erzählen“. Man kommt aus dem warmen Kino ins bremische Schmuddelwetter und hofft gerade deshalb aufs Beste. Ein schöner Film zur rechten Zeit.
Wilfried Hippen
läuft in der Schauburg um 18.30, 21, 23.30 Uhr
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